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Haus der Jugend (German Edition)

Haus der Jugend (German Edition)

Titel: Haus der Jugend (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Tietgen
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möchte etwas antworten, ihm sagen, wie lange ich mir diesen Moment gewünscht habe, möchte wissen, warum er damals einfach gegangen ist, ohne ein Wort, möchte hören, was er seitdem erlebt hat, warum er nicht älter geworden ist – wie sehr hätte ich mir auch das in manchen Jahren gewünscht – möchte den Augenblick genießen und ihn mit keinem Wort stören, in schweigender Übereinkunft spüren, es hat sich nichts verändert zwischen uns. Jedes Wort ist von der Angst begleitet, zu laut, zu forsch, zu bohrend zu sein, jeder Satz von der Furcht, er könnte den Augenblick zerstören, Darius vertreiben und ihn für immer von mir trennen.
    »Um ehrlich zu sein, warst es du. Ich wollte dich vergessen.« Mein Herz klopft bei diesem Satz, ich mache mich bereit, Darius festzuhalten, sollte er aufstehen, aber die Wahrheit ist mächtiger als meine Angst, sie presste den Satz hervor, noch bevor ich sie kontrollieren konnte. »Da passte es gut, dass ich gerade alles verloren hatte. Ich wollte neu anfangen, auch wenn ich nicht wusste, wie. Hamburg war die Stadt, die mir am weitesten entfernt vorkam, als ich das Bahnticket löste.«
    Darius zündet sich eine Zigarette an, hält mir die Schachtel hin. Ich greife zu, um der Erinnerung willen. Eigentlich habe ich längst aufgehört zu rauchen. Es ist noch dasselbe Benzinfeuerzeug, zu dem ich mich bücke.
    »Ist es dir gelungen?«
    »Ich habe gut davon gelebt, dich nicht zu vergessen.«
    Obwohl der Satz Schokolade enthält, erschrecke ich selbst über den Geschmack ranziger Bitternis. Doch Vorwürfe – auch nach so vielen Jahren noch. Vorwürfe, die ich längst begraben glaubte. Ist es nicht schön, jemanden nicht vergessen zu können, ehrt nicht der Eindruck, den er hinterlassen hat? An seiner Stelle ließe ich das Bier stehen, aber er bleibt sitzen, lächelt und legt eine Hand auf meine. Einen Augenblick lang frage ich mich, ob er die Poster nie gesehen hat, ob die Presseberichte vor ihm verborgen geblieben sind.
    »Es klingt nicht glaubwürdig, wenn ich dich nicht einmal erkannt habe, aber ich habe dich auch nicht vergessen.« Er nimmt die Hand wieder fort, sieht einen winzigen Moment an sich herunter und schaut mich wieder an.
    »Du siehst mein Geheimnis. Du bist der Erste, der es sieht. Ich musste damals gehen, so schmerzhaft es auch war. Nicht nur deshalb.«
     

4.
     

    Ich spürte die Temperatur nicht, als ich an jenem Morgen durch die Januarkälte stapfte. Den Schal hatte ich vergessen, den Dufflecoat ließ ich geöffnet. Es machte mir nichts aus, die Kleidung vom Vortag noch einmal zu tragen, auch wenn das Hemd etwas zerknittert war. Darius hatte mich mit so viel Glück angefüllt, dass ich schreien wollte. Es trieb mich an, verlängerte die Schritte, die mich von ihm wegtrugen, dabei wollte ich doch bleiben.
    Ich würde ihn wiedersehen, daran zweifelte ich keine Sekunde. Seine Verabschiedung hat keine Fragen offen gelassen. In dieser Zuversicht fiel der Weg zum Theater leicht. In dieser Gewissheit gingen mir die Arbeiten des Tages wie im Schlaf von der Hand, und die Stunden verflogen, wenn auch nicht schnell genug.
    Zum Feierabend schaute ich nicht, ob Darius auf dem Gärtnerplatz stand. Ich hatte das Bedürfnis, mich zu waschen und meine Kleidung zu wechseln. Also ging ich direkt nach Hause, vermisste den Schal, denn die Müdigkeit ließ mich trotz der für Januar eher milden Temperaturen jetzt doch frösteln. Meine Vermieterin war nicht zu Hause. Sie hatte mir einen Zettel auf den Tisch gelegt, auf dem Herd stünde ein Topf mit Gulasch, das ich mir warm machen dürfte. Doch zunächst erhitzte ich Wasser, das ich im Keramikbecken an der Wand meines Zimmers mit kaltem vermischte, zog Hemd und Hose aus, wusch und rasierte mich ausgiebig.
    Mich im Spiegel betrachtend hatte ich das Gefühl, ich hätte Farbe bekommen und ein wenig Gewicht zugelegt. Nach Abschluss der Prozedur zog ich mich wieder an. Es gab nicht viel Auswahl. Praktischerweise hatte ich nur weiße Hemden, nur graue Hosen, alle, wenn nicht identisch so doch zumindest sehr ähnlich im Schnitt. Ich kaufte Brot, Butter, Mettwurst, Schinken und schwarzen Tee, bevor ich, als wären wir verabredet, zu Darius ging – um den vergessenen Schal zu holen.
    Ich klingelte bei ihm, sah durch die Fenster des Treppenhauses Licht aufleuchten, lauschte, ob ich auf der anderen Seite der Tür Schritte die Treppe herabkommen hörte. Ich hörte nur den Schlüssel im Schloss, dann Darius’ Stimme, sein knappes Hallo, als

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