Haus der Sünde
stand. Zu Claudias Entsetzen begann sie sogar vor seinen Augen mit den Fingern zu schnipsen. »Paul, jetzt antworte mir doch!«
Claudia ballte die Hände zu Fäusten, was allerdings nicht zu sehen war, da sie diese in den Falten ihres Rocks verborgen hielt. Sie hätte am liebsten etwas ganz anderes gemacht, als nur mit den Fingern zu schnipsen.
»Felicity?«, fragte Paul vorsichtig. »Du bist Felicity – oder?«
»Oh, Gott sei Dank! Du erinnerst dich!« Die junge Frau seufzte, und ihr glattes, makelloses Gesicht zeigte nun eine große Entschlossenheit. »Mach dir keine Sorgen, Liebling. Es wird alles wieder in Ordnung kommen, sobald wir von hier weg sind.« Sie sprang auf und packte ihn an den Schultern.
Es reichte. Claudia trat nun ihrerseits einen Schritt nach vorn. »Vielleicht möchte Paul aber zuerst noch die Tasse Tee trinken, bevor er geht. Ich bin mir sicher, dass Melody gleich wieder hier sein wird.«
»Und woher wollen Sie wissen, was Paul möchte?«, mischte sich die jüngere Frau ein, deren Augen plötzlich giftig funkelten, als sie Claudia anblickte. »Wer sind Sie überhaupt? Und was haben Sie sich bloß dabei gedacht, Paul auf ein Fest mitzunehmen, wenn er krank ist?«
Claudia richtete sich zu ihrer vollen Größe auf, die zu ihrer Genugtuung ein paar Zentimeter mehr betrug als die der Frau. Ihr elegantes Kleid vermittelte ihr zudem weitere Stärke für diesem Moment. »Wie ich Ihnen bereits sagte, bin ich Claudia Marwood. Ich bot Paul Unterkunft an, als er nicht zu wissen schien, wohin er sich wenden sollte.« Für einen Moment überlegte sie sich, ob sie Felicity die Hand reichen sollte, doch da sie vermutete, dass diese nicht darauf eingehen würde, entschied sie sich dafür, sich die Peinlichkeit zu ersparen. »Es wäre freundlich, wenn Sie mir sagen könnten, wer Sie eigentlich sind.«
Die Augen der jungen Frau wurden deutlich schmäler, und sie warf ihrem Gegenüber ein kaltes, wenn auch triumphierendes Lächeln zu.
»Ich bin Felicity Neston«, sagte sie, und ihr Lächeln wurde breiter, wenn auch keineswegs freundlicher. »Ich bin Pauls Verlobte.«
Claudia konnte Paul in diesem Moment keinen Blick zuwerfen, doch sie spürte, dass sich sein bereits gequältes Gesicht entsetzt zusammenzog.
Kapitel 18
Die Regeneration
Warum sah sie nur immer wieder jenen Moment vor sich, in dem Paul so schmerzverzerrt die Augen schloss? Selbst jetzt, mehrere Wochen nach den schrecklichen letzten Minuten, hatte sie ihn immer wieder so vor Augen. Wovon wollte er seinen Blick abwenden? Von ihr oder von der Tatsache, dass er sie verlieren würde?
»Ich kann nicht mein ganzes bisheriges Leben einfach ungeschehen machen«, hatte er ihr in einem der wenigen Momente gesagt, wo Felicity nicht wie eine Glucke um ihn herum scharwenzelt war.
Stimmt, dachte Claudia jetzt. Sie rieb sich die Augen, um für eine Weile nicht auf die Tabelle schauen zu müssen, die ihr der tief ergebene Tristan vorbereitet hatte. Und das hätte ich auch niemals von dir erwartet, Paul Bowman – Dr. Paul Bowman. Warum aber hat mir dann die Anspannung in deinem Gesicht und etwas in der Art und Weise, wie du gegangen bist, gezeigt, dass du genau das am liebsten tätest? Dass du am liebsten dein ganzes bisheriges Leben hinter dir lassen und bei mir bleiben würdest?
Natürlich war es dumm, sich noch immer so etwas auszumalen. Sie versuchte sich also wieder auf Tristans tadellos präsentiertes und völlig akkurates Blatt Papier zu konzentrieren. Dumm und unnötig. Verdammt nochmal. Sie konnte sich wirklich nicht über zu wenige Liebhaber beschweren. Es gab ein paar jüngere und einen, der etwas älter war. Alle waren entweder höchst befriedigend willig oder besaßen selbst eindrucksvolle
Fähigkeiten, von denen sie bisher gar keine Ahnung gehabt hatte, dass es sie gab. Sie hatte Tristan, sie hatte ihre geliebte Melody und sie hatte – wie sie das von Anfang an erhofft und erwartet hatte – die atemberaubende Beatrice.
Aber Melody und Beatrice waren Frauen, was ihrer Beziehung eine ganz andere Dynamik verlieh. Und auch wenn Tristans sklavische Hingabe ihr gegenüber manchmal ganz unterhaltsam war und sie ihren neuen Privatsekretär durchaus ins Herz geschlossen hatte, so war das einfach nicht dasselbe. Weder er noch Melody noch Beatrice vermochten die Lücke in ihrem Herzen und ihrer Seele zu schließen, die Paul hinterlassen hatte. Im Grunde gehörte sie noch immer ihm. Es gab einen Teil von ihr, der ganz und gar auf ihren Fremdling
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