Haus der Sünde
denselben schwarzen Gehrock trug, mit dem er das erste Mal bei ihr aufgetaucht war. Das Kleidungsstück sah zwar mit der Jeans, die er nun trug, den Turnschuhen und dem T-Shirt, auf dem das Gesicht von Albert Einstein zu sehen war, etwas anders aus, aber es war eindeutig dieselbe Jacke.
»Irgendwie hängt nun mal mein Herz daran«, sagte Paul und strich mit den Fingern über einen der samtigen Ärmel.
Sonst sagte er nichts und begrüßte Claudia weder noch bot er ihr eine Erklärung für seinen Besuch an.
Auch Claudia schwieg. Sie konnte nichts sagen. Also trat sie einfach einen Schritt zurück und ließ ihn ins Haus. Noch immer schweigend folgte er ihr ins Wohnzimmer.
Dort angekommen, wandte sie sich von ihm ab, um die Flasche Mineralwasser, die neben dem Sofa auf dem Boden stand, aufzuheben. Sie nutzte den Moment, um tief durchzuatmen. Es war lächerlich, aber ihr war auf einmal ganz leicht ums Herz. Als sie ihn wieder ansah, warf er ihr ein kleines, verlegenes Lächeln zu und warf dann einen Blick auf die Flasche, die sie in den Händen hielt.
Claudia folgte seinen Augen. »Ich glaube, wir brauchen etwas Stärkeres als das … ich jedenfalls.« Sie trat zu dem Tablett mit den härteren Alkoholika, nahm die Flasche mit Whiskey und wedelte damit in seine Richtung. »Willst du auch etwas davon? Oder ist Tee immer noch dein liebstes Getränk?«
»Das ist schon gut so … Bitte, ich hätte jetzt liebend gern einen Whiskey«, sagte er und trat nervös von einem Fuß auf den anderen. Er wirkte wie ein Schuljunge, der auf eine Standpauke wartete. »Offenbar mögen Mathematiker ihren Whiskey.«
»Wirklich? Ist das so?« Sie nahm zwei schwere Gläser aus dem Schrank. »Mit Eis? Wasser? Oder Soda?«
»Pur ist mir eigentlich am liebsten, danke«, sagte Paul, dessen Stimme nun deprimierend gezwungen klang.
Wie zwei Jugendliche vor ihrem ersten Tanz setzten sie sich wieder. Der Knabenchor der Salisbury Cathedral sang im Hintergrund weiter.
»Also, wie ist es dir so ergangen? Kannst du dich inzwischen wieder an alles erinnern?«, fragte Claudia, nachdem sie sich entschlossen hatte, die Dinge, die sie am liebsten ausgesprochen hätte, erst einmal hintan zu stellen. Es hätte zu verzweifelt gewirkt.
»Ja, ich erinnere mich an fast alles«, sagte er und betrachtete die bernsteinfarbene Flüssigkeit, die er langsam in seinem Glas hin und her schwappen ließ. »Es gibt nur einige wenige Dinge, bei denen ich noch immer im Dunklen tappe. Aber ich kann mich jeden Tag an weitere Einzelheiten erinnern.«
»Und kannst du … kannst du … du weißt schon … wieder arbeiten? Kannst du deinem Beruf nachgehen? Riesige Zahlenkolonnen zusammenrechnen und all so was?«
Paul zog eine Grimasse und nahm dann einen großen Schluck Whiskey. »Ja, das geht schon wieder, aber ich habe noch immer große Schwierigkeiten, mich zu konzentrieren.« Er sah woanders hin und schien das flackernde, rote Licht am Equalizer der Stereoanlage zu fixieren.
Auch Claudia nahm einen kleinen Schluck Whiskey. »Und kümmert sich Felicity gut um dich?« Sie biss die Zähne zusammen und versprach sich innerlich, diesen lächerlichen Ausbruch von Eifersucht am nächsten Tag durch einen besonders harten Jogging-Sprint oder die doppelte Menge von Übungen zu bestrafen. Was würde sie wohl als Nächstes sagen oder tun? Sich wahrscheinlich die Kleider vom Leib reißen und auf ihn stürzen? Er sah auf jeden Fall wie immer attraktiv genug für eine solche Aktion aus. Seine Locken waren etwas länger und wilder und seine durchdringenden Augen wirkten noch blauer als zuvor.
»Felicity und ich haben uns getrennt, nachdem mir wieder einfiel, warum ich die Party damals so abrupt verlassen habe und mit ihrem Auto einen Unfall baute. Dabei verletzte ich mir wohl den Kopf und verlor mein Gedächtnis.« Pauls Stimme klang nun natürlicher und entspannter. Sie besaß wieder die weiche, melodische Intonation, an die sie sich so schnell gewöhnt hatte. Wie oft hatte sie in den Tagen mit Paul diese Stimme beim Liebesspiel gehört!
»Und warum? Habt ihr euch gestritten?«
»Weil sie diesen Abend wählte, um mir mitzuteilen, dass sie mit jemandem eine Affäre hatte, während ich an einer Vorlesung arbeiten musste.«
»Blöde Zicke!«, sagte Claudia und äußerte damit den ersten Gedanken, der ihr in den Kopf kam. Wie konnte diese hochmütige, aufgeblasene Mademoiselle einen anderen Mann als Paul auch nur in Erwägung ziehen? Wusste die Zicke denn nicht, dass ein besonderer
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