Haus des Blutes
durch. Sie zögerte dann nicht, ihren Intellekt als erbarmungslose Waffe einzusetzen, und hatte nicht die geringste Angst vor Konfrontationen. Und doch war sie sensibel genug, zu wissen, wann es Zeit war, sich zurückzuhalten.
Wie zum Beispiel jetzt.
Sie schenkte Chad ein letztes höhnisches Grinsen, in das sie alle Verachtung legte, die sie aufbringen konnte, und lehnte sich wieder auf ihrem Sitz zurück. »Du bist es noch nicht mal wert, dass ich dich unter meinem Absatz zerquetsche, du fiese Kakerlake.«
Chad kicherte. »Oooh, jetzt machst du mich ja richtig scharf.«
Alicia sah zu Dream hinüber und machte das universale Würgereizzeichen, indem sie einen Finger in ihren weit aufgerissenen Mund steckte. Dream brachte ein leises Lächeln zustande, aber es gelang ihr nicht, das Zittern zu kontrollieren, das ihr Gesicht zu einer schiefen Grimasse verzerrte. Auf den seelischen Tiefschlag, den ihr Chads hasserfüllte Worte versetzt hatten, war sie ganz und gar nicht vorbereitet gewesen. Sie hallten in ihrem Kopf nach, und Dream staunte über die Intensität der Gefühle, die sie in ihr auslösten. Sie fragte sich, wie es dem liebenswerten Chad Robbins gelungen war, eine offenbar tief verwurzelte Feindseligkeit so überzeugend zu verbergen. Darüber hinaus stellte sich die Frage, wie lange er schon so über sie dachte.
Schon immer, raunte ihr eine leise, unheilschwangere Stimme aus ihrem tiefsten Inneren zu. Er hat dich von Anfang an gehasst.
Dream hielt das zwar für einen Anflug von Paranoia, aber sie verspürte dennoch eine gewisse Verunsicherung. Ihre ersten Erinnerungen an Chad waren die an einen süßen kleinen Jungen, der es schaffte, gleichzeitig tollpatschig und vollkommen mit sich im Reinen zu wirken. Er war einfach nur einer unter vielen komischen Käuzen gewesen, die durch die Korridore der Smyrna High School streiften. Und wahrscheinlich hätten sie nie miteinander zu tun bekommen, wäre sie nicht zufällig in der Nähe gewesen, als ihm eine Meute von Footballspielern eine üble Tracht Prügel androhte.
Was für ein Dummchen sie damals gewesen war! Klar, sie zählte zu den beliebtesten Mädchen der Schule und verdrehte als blonde Schönheit allen den Kopf! Aber in der Großstadt wäre sie früher oder später auf dem Titelblatt einer Modezeitschrift gelandet. Hier in der Provinz hatte sich Dream dagegen zum seltensten aller seltenen Exemplare unter den beliebten, blendend aussehenden Kids entwickelt – zu einer guten Seele.
Ein Therapeut hatte Selbstlosigkeit und Altruismus später dem absurden Namen zugeschrieben, den ihre Eltern ihr bei der Geburt aufbürdeten. Das schien nicht von der Hand zu weisen zu sein. Ein Mädchen namens Dream wollte ganz gewiss für niemanden der personifizierte Albtraum sein. Allerdings erklärte das nicht, warum sie von der ersten Begegnung an ein so großes Interesse an Chad entwickelte. Vor und nach ihm hatte es noch zahlreiche andere unbeholfene Kerle gegeben, die sie davor bewahrt hatte, von einer Horde Mitschülern verprügelt zu werden. Aber er war der Einzige, den sie unter ihre Fittiche nahm.
Damals fand sie ihn irgendwie süß, und sie besaß schon immer eine Schwäche für süße, schüchterne Jungs. Aber er hatte auch noch etwas anderes an sich, das sie faszinierte, etwas weniger Greifbares. Es musste damit zu tun haben, dass er ihr direkt in die Augen sah, wenn er mit ihr sprach oder ihr zuhörte. In ihrer Gesellschaft war er niemals nervös, und er versuchte auch nicht, sie wie andere Jungs mit irgendwelchen unglaublich dummen Aktionen zu beeindrucken.
Möglicherweise lag es aber auch daran, dass er das erste männliche Wesen war, das sie wie einen echten Menschen und nicht wie ein Objekt behandelte. Auch die Tatsache, dass er sich nicht über ihren ungewöhnlichen Namen lustig machte, schien ihr dabei von Bedeutung zu sein. Verdammt, sie war vermutlich seiner tief verwurzelten Anständigkeit mit Haut und Haar verfallen.
… vielleicht bin ich es ja leid, mich von ihr als sozialer Pflegefall durchschleifen zu lassen …
Irgendwann gelangte sie zu dem Schluss, dass sein offensichtliches Desinteresse an ihren körperlichen Reizen schlichtweg auf seine sexuelle Orientierung zurückzuführen war. Sie bildete sich auf ihr Aussehen zwar nichts ein, aber sie war intelligent – und selbstbewusst – genug, um zu wissen, dass sie so ziemlich jeder für außergewöhnlich attraktiv hielt.
Beinahe jeder Mann, dem sie begegnete, gab ihr dies auf die eine oder
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