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Hausers Zimmer - Roman

Hausers Zimmer - Roman

Titel: Hausers Zimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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vertrockneten Weihnachtsbäume am Straßenrand auf. Und für diesen Song, der im nächsten Jahr ein großer Hit werden würde: Besuchen Sie Europa (so lange es noch steht) . Er würde so oft über unseren Hof schallen wie jetzt die Polonäse und Sonne statt Reagan zusammengenommen. Denn er sprach offenbar in so unterschiedlichen Menschen wie Herrn Olk, Herrn Kanz, Frau Koderitz, Herrn Wiedemann, Anna und meinen Eltern und Falk etwas a n – aus irgendeinem Hoffenster hörte man ihn immer. Doch für mich war der Gedanke an ein sintflutartiges Versinken von Europa im Atombombenhagel im Moment weniger beängstigend als der daran, wie es denn weitergehen könnte. Mit mir, mit dem in Kürze anbrechenden neuen Jahr, mit dem Leben an sich. Mit allem, was ich damals kannte.

Rattenloch – Reprise
    Als ich am letzten Schultag nach Hause kam, fühlte ich mich leer und traurig. Morgen war Heiligabend, Isa war fort, Fiona würde fort sein, The Wiebkes and the Klauses waren unterwegs oder verkrochen sich in ihrem Denkraum respektive Himmelhochbett. Ich trat an mein Fensterbrett und spielte mit einer Taube, die auf der anderen Seite meines Fensters saß: Wer guckt zuerst weg? Natürlich verlor ich.
    Auf einmal hörte ich einen ohrenbetäubenden Krach. Ein Schlagen, ein Poltern, ein Knirschen. Erschrocken guckte ich aus dem Hoffenster. Der Hauser zertrümmerte hinter den Mülltonnen mit einer Axt eine Kiste. Die stand doch gestern noch in seinem Flur! Nun blickte ich in seine Wohnung. Sein Bett, sein Fernseher, der Stereotower waren verschwunden, die Lampen abgenommen. Nur die Hawaiitapete mit dem Motorradpärchen war übrig geblieben. Und eine an die Wand gelehnte schmale Matratze. Was lief hier ab? Langsam kapierte ich, dass der Hauser auszog und den Großteil seiner Möbel nicht mitzunehmen gedachte. Vielleicht zog er mit seiner Geliebten zusammen, vielleicht hatte er die Miete nicht mehr bezahlen können, vielleicht hatte mein Petzen, das Klaus’ Brief an die Hausverwaltung nach sich gezogen hatte, das Fass zum Überlaufen gebracht, und er hatte wegen der vielen Beschwerden eine Kündigung erhalten, vielleicht verkauften sich seine Bilder rasant, und er konnte sich eine andere, bessere Wohnung, gemeinsam mit seiner Galeristin, leiste n – den genauen Grund würde ich nie erfahren.
    Ich blieb am Fenster stehen, wie ich dieses Jahr die meiste Zeit am Fenster gestanden hatte, und sah zu, wie der Hauser seine Möbel zerhackte, um dann mit Teilen davon zu verschwinden. Nach fünf Minuten kam er jedes Mal mit leeren Händen zurück und hackte weiter. So ging das den ganzen Abend über. Ich lief nur zum Tagesschau -Gucken aus dem Zimmer.
    Um halb elf nachts rief Herr Wiedemann über den Hof, er werde gleich die Polizei holen.
    Der Hauser brüllte zurück: »Sie können mich ma’, ick tret’ ihnen jleich die Tür ein, klar? Morjen bin ick nich mehr hier, da ham Se imma schön ihre Ruhä!«
    Der Hauser legte sich am frühen Morgen in seiner leeren Bude auf die Matratze und schlief. Nachdem ich bei ihm gewesen war, hatte ich versucht, ihn zu vergessen. Aber am Fensterbrett weinte ich über den Mann, mit dem ich zusammen nach Südamerika hatte auswandern wollen.
    Am Morgen des 24 . Dezembers ging ich, einer Ahnung folgend, zum Rattenloch, jener unbebaubaren Lücke im Gefüge, jener Erinnerung an Krieg, Schmerz, Zerstörung, Fäulnis und Gewalt. Es überraschte mich kaum, all die zerschlagenen Möbel dort herumliegen zu sehen. Dort, wo sie hergekommen waren. Die großartige orangefarbene Lampe, die Garderobe mit den Frauenhänden als Jackenhalter, die Wiebke und Klaus geschmacklos fanden, der Abfalleimer mit dem Fledermausaufkleber, der Plastikkorb, in dem sein Obst immer verfaulte, alles. Darüber ein anthrazitfarbener Himmel und das mittlerweile schon reichlich verwitterte Bonzen, wir kriegen euch und Kummerland ist abgebrannt . Jemand hatte das L mit einem riesigen K übersprayt.
    Über mir drehten die stolzen Tauben Pirouetten. Im Gebüsch dinierten die Ratten. Ihr Tafelsilber blendete mich. Es funkelte wie eine Fata Morgana, wie ein verspiegelter Großalk in ferner Zukunft, wie die Spiegelung einer Hoffnung auf eine Hoffnung, eine endlose Selbstspiegelung in einer eingefrorenen Zeit. Es hatte zwar noch nicht geschneit, aber der Boden unter mir war hart wie Stein. Hunde kläfften rau aus allen vier Sektoren. Von irgendeinem der vielen Höfe hörte man ein unablässiges Dosenkicken. Über mir erhob sich eine Taube, so mühelos,

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