Hausers Zimmer - Roman
Briefe nach Deutschland schicken. Aber wir haben hier einen Fall in Zaire, am Besten in fließendem Französisch.«
Wieder bei uns in der Wohnung trabte ich mit der Absicht in die Küche, ein Glas Fassbrause zu trinken, was darauf hinauslief, dass ich mit Wiebke einen Kartoffelsalat vorbereitete. Nach dem Kartoffelschälen klebten wir von Falk und mir im letzten Jahr selbst gebastelte, wenig ansehnliche Transparentpapierweihnachtsbilder ans Küchenfenster. Beim Aufhängen riss ich die hässlichen Dinger aus purer Lust an der Zerstörung noch ein bisschen ein. Gedanken daran, ob ich mit Falks Weihnachtsschmuck genauso umgehen dürfte wie mit meinem eigenen Unrat, verdrängte ich sofort. Den diesjährigen Adventskalender hatten wir unter Wiebkes Anleitung aus Klopapierrollen (für jeden Tag eine) gebastelt und die Rollen dann mit rotem und dunkelgrünem Krepppapier umwickelt. Ganz weihnachtlich. Klopapierrollen! Bei meinen Eltern war der schiere Kapitalismus ausgebrochen: Im vorletzten Jahr hatten wir den Adventskalender noch aus Streichholzschachteln gebastel t – Wiebke steckte in jede Schachtel genau ein Bonbon oder einen Kaugummi. Man konnte nicht behaupten, dass man da nach zwei, drei Wochen noch sonderlich überrascht war. Immerhin gab Wiebke sich Mühe, nicht an zwei aufeinanderfolgenden Tagen Bonbons der gleichen Sorte zu wählen.
In diesem Jahr bekamen Falk und ich einen Müsliriegel, einen Eddingstift ode r – an den Adventssonntage n – sogar Kinokarten (natürlich für Filme nach Klaus’ und Wiebkes Geschmack, beispielsweise Karten für Yellow Submarine , der in einem Oldiekino in Zehlendorf gezeigt wurde) geschenkt. Wenn das so weitergehen sollte, würden wir in fünf Jahren unsere Adventskalender aus Ariel-Tonnen bauen!
Wiebke erging sich ausführlich darüber, dass es doch viel, viel schöner sei, etwas Selbstgebasteltes, etwas mit Liebe Gemachtes (woher wollte sie das eigentlich wissen, fragte ich mich) in sein Fenster zu hängen als diesen »Plastikschund«, wie er bei Pechs wieder blitzte und blinkte.
Ich sagte nichts dazu. Wir hängten also unser halbes Fenster mit Falks und meinen beschämend dilettantischen Arbeiten voll, damit noch weniger Licht in die Berliner Hinterhofküche drang. Licht, was war das?
Abends wurde in der Tagesschau von einem schweren Orkan mit Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 180 Kilometern pro Stunde berichtet. In Rendsburg war eine Achtzehnjährige von einem herabstürzenden Ast erschlagen worden, an der Elbe hatte der Sturm einen Bauarbeiter vom Gerüst gefegt. Wir vier lümmelten uns auf und um Klaus’ Lieblingssessel und aßen Weihnachtsgebäck. Jetzt sahen wir uns beunruhigt an, Weltuntergangsstimmung. »Es gibt eindeutig mehr Orkane als früher«, sagte Wiebke mit einem panischen Zittern in ihrer Stimme.
»Das ist der Beginn der neuen Eiszeit«, ereiferte sich Klaus. »Es gab da letztens schon, hach, in welcher Zeitung war das denn noch mal? Dieser Artikel über die befürchtete Klimaabkühlung, wirklic h … Das haben mehrere Meteorologen bestätigt!«
Wiebke nickte. »Ich habe das auch gelesen. Es wird kälter auf diesem Planeten.«
Plötzlich hörten wir sehr laut Back in Black über den Hof schallen. Klaus’ Miene verfinsterte sich augenblicklich. »Ich habe der Hausverwaltung noch mal geschrieben, Herr Wiedemann und Anna haben auch unterzeichnet.«
Nach der Tagesschau klingelte dauernd das Telefon; an Wiebkes und Klaus’ Gesichtern sah ich, dass es sich um Verwandtenanrufe handelte. Den Gesprächen entnahm ich, dass aus irgendeinem Grund alle davon ausgingen, dass der Sturm in Berlin besonders schlimm gewütet hatte. Hier war es abe r – leide r – ruhig geblieben. Leise rieselte der Schnee auf die Fensterbank. Ich schaute nicht mehr zum Hauser-Fenster, auf die Hawaiitapete, aber weg vom Fenster kam ich doch nicht. Still und starr lagen die Pfützen im Hof.
Nur noch drei Tage Schule. Dann Weihnachten. Und Silvester. Heiligabend würde dieses Jahr das erste Mal ohne einen Obdachlosen stattfinden. Aus lauter Hilf- und Einfallslosigkeit hatte Wiebke dieses Jahr sogar vorgeschlagen, in die Kirche zu gehen, aber dafür war Klaus nicht zu haben. Jetzt wollte Wiebke Anna zu einem evangelisch-esoterischen Meditations- und Betabend (so Klaus) begleiten und dann später die Bescherung machen. Wiebke betonte, dass für sie Heiligabend, wenn schon nicht mit einem Obdachlosen, dann wenigstens als Fest der Liebe, mit Predigt und so, gefeiert werden sollt e
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