Hausverbot
der renommierten Düsseldorfer Akademie zum Epigonen des Meisters. Man bestimmte seinen Stil und Weg selber. Allerdings waren die meisten der Professoren trotzdem abstoßende, autoritäre Machos. Der einzige akzeptable war eben Claus Böhmler. Deswegen studierte ich auch bei ihm. Er war großartig. Man traf sich mit ihm mittwochs um vierzehn Uhr. Er kam meistens fünf Minuten zu spät und hatte eine geöffnete Flasche Bier in der Hand, die er gerade in der Kantine geholt hatte. Ich hatte mir nie Gedanken darüber gemacht, dass es eventuell komisch wirkte, wenn der Professor im Unterricht Bier trank. Ich verband dieses Biertrinken mit der westeuropäischen Freiheit. Manchmal tranken auch die Studenten Bier, ich eingeschlossen. Ganz selten gab Böhmler eine Runde aus. Der Unterricht bestand daraus, dass man was vorstellte und erzählte, worum es ging. Dabei war es nicht wichtig, ob man ein fertiges Kunstwerk oder erst mal nur eine Ideensammlung zeigte. Böhmler schaute sich alles an, als hätte er noch nie zuvor Derartiges gesehen. Er war nie voreingenommen. Er war wie ein eloquentes Kind, das vor sich hin philosophierte. Seine Ausführungen waren nie hochgestochen oder mit Fremdvokabular übersät. Er versuchte nicht, schlauer zu sein als die Studenten. Aus ihm sprudelten endlos viele Ideen, Erklärungen, Ratschläge. Er redete und redete, als hätte er die ganze Zeit gekokst, aber er ging nie aus dem Raum und trank immer nur eine einzige Flasche Bier. Ich mochte seine Art wirklich sehr. Viele der Kommilitonen hielten Böhmler für einen Freak. Sie gingen lieber zu den Macho-Professoren und ließen sich von denen demütigen. Bei Böhmler wurde man dagegen immer gut behandelt und brauchte keine Angst vor Ablehnung zu haben. Er kritisierte die Studenten nie. Er baute sie immer auf. Er war aber kein seichter Pädagoge, kein Langweiler. Böhmler war ein Anarchist. Wahrscheinlich war es seine Idee gewesen, die Oehlen und Büttner als Studenten in der ›Buch Handlung Welt‹ im Karolinenviertel realisiert hatten. Sie malten dort ein pornografisches Bild, für das sie wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses angezeigt wurden. Weil das Bild direkt auf die Wand gemalt war, konnte es nicht so einfach abgehängt werden. Oehlen und Büttner kamen in die Medien, was ihre Karriere beförderte. Dank der Beziehungen zu Staatsanwalt Kuhlbrodt ließ das Gericht die Anzeige zum Glück fallen, und deswegen waren Oehlen und Büttner zu weiteren Frechheiten aufgelegt.
Freie Künstler hatten am Lerchenfeld keine Anwesenheitspflicht. Sie studierten ohne Aufgaben, Noten und Scheine und eigentlich auch ohne Professoren. Diese machten den Studenten höchstens Korrekturvorschläge in den wöchentlichen Besprechungsstunden. Vorausgesetzt, die Professoren waren präsent. Denn auch sie waren, wie die Studenten, von allen Pflichten befreit. Viele der berühmten Professoren wie Sigmar Polke, Gotthard Graubner oder Jörg Immendorff kümmerten sich hauptsächlich um ihre Karriere. Sie sahen ihre wenigen Alibistudenten höchstens bei den eigenen Vernissagen außerhalb der Uni. Es war aber egal, ob man bei einem berühmten oder nicht berühmten Professor studierte. Man war der Herr seiner selbst. Und genau so hatte ich mir das Künstlerleben ausgemalt, als ich mich damals, als Fünfzehnjährige, für das Kunstgymnasium entschieden hatte. Ich konnte echt von Glück reden, dass mich die Kunstakademie in Danzig nicht angenommen hatte. Sonst wäre ich ja nie in Hamburg gelandet!
Vier Tage nach meiner Ankunft in Deutschland war in Polen der Kriegszustand ausgerufen worden. Die Staatsgrenzen wurden dichtgemacht, die Telefonleitungen gekappt. Monatelang durfte niemand von dort hierher und von hier dahin reisen. Genau an dem Tag, als General Jaruzelski den Kriegszustand erklärte, nahm mich mein Onkel in einen polnischen Kulturklub nach Frankfurt mit. Dort feierten wir Weihnachten mit deutschen Spätaussiedlern, deren Muttersprache Polnisch war. Sie waren aber keine Polen. Alle Männer hatten Bierbäuche, alle Frauen trugen Trachten. Sie wollten wahrscheinlich Schlesier darstellen. Im polnischen Schlesien lief aber keine Frau in Tracht rum, und die Männer waren alle dünn wie Streichhölzer. Im Ausland mutieren die Landeskulturen ins Regressive. Das befördert die Ausländerfeindlichkeit. Weil sich keine Nation mit dem Rückschritt der Fremden befassen will.
In diesem Frankfurter Kulturklub interviewte ich jeden über die Möglichkeiten meiner Migration in
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