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Hausverbot

Hausverbot

Titel: Hausverbot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mariola Brillowska
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Deutschland. Ich achtete natürlich darauf, dass mein Onkel das nicht mitbekam. Die stark alkoholisierten Klubmitglieder redeten gerne darüber, wie man deutsche Behörden austrickste, um sich einbürgern zu lassen. Ich sollte bloß kein Asyl beantragen. Sie klärten mich darüber auf, dass ich als Verwandte meines Onkels selbstverständlich deutschstämmig sei, also eine Spätaussiedlerin und folglich eine Deutsche. Man riet mir, schleunigst nach Friedland zu fahren, wo ich innerhalb von drei Tagen zur deutschen Staatsbürgerin werden könnte. Dort sollte ich unbedingt behaupten, dass ich in Polen nicht Deutsch sprechen durfte, egal, ob das stimmte oder nicht. Beantragte man nämlich als Deutscher Asyl, machte man sich zum deutschen Staatsfeind. Das war ein wichtiger Hinweis. Darauf kam man nicht automatisch. Man sollte Asyl also nur dann beantragen, wenn man sich sicher war, dass man keine deutschen Verwandten hatte. Was offensichtlich nicht auf mich zutraf. Ich war mit polnischem Pass nach Deutschland gekommen und hatte bis zu dieser Weihnachtsfeier immer angenommen, dass ich eine Polin war. Nun stellte sich aber heraus, dass ich scheinbar auch die deutsche Nationalität besaß. Denn, so klärten mich die Klubmitglieder auf, die Nationalität sei nicht dasselbe wie die Staatsbürgerschaft. Die Nationalität vererbe man, die Staatsbürgerschaft erwerbe man. Wahrscheinlich sei ich eine Doppelstaatlerin, daher sollte ich mich in Deutschland für meine deutsche Nationalität entscheiden, dann bekäme ich sofort die deutsche Staatsbürgerschaft. Mann, war das kompliziert. Ich hatte vorher nie über so etwas nachgedacht. Ich war ohne diesen Nationalitätskram aufgewachsen, ohne Stammbaum von Mutter und Vater und dem Heiligen Geist.
    Mir war es auch egal, welcher Nation ich angehörte. Mir war es nur wichtig, dass ich dort leben und das machen durfte, wo und was ich wollte. Dass nichts und niemand über mich, sondern nur ich über mich selbst bestimmte. Ich war keine patriotische Nationalistin, keine Erbin der Tradition. Ich schaute seit jeher nur nach vorn. Für mich begann die Welt mit meiner Geburt. Ich kannte keine Vergangenheit, nur die Gegenwart und die Zukunft. Geschichte interessierte mich nicht. In der Schule hasste ich sie am meisten von allen Fächern. Weil sie langweilig war. Und Langeweile bedeutete für mich Folter. Ich erfand die Welt immer von vorn. Weil ich nicht wie die anderen war. Eben nicht normal. Nicht durchschnittlich. Nicht eintönig. Nicht angepasst. Nicht von dieser Welt. Ich war die letzte Sopoterin, die weibliche Kinski-Reinkarnation. Außerdem wurde ich in dem Jahr geboren, in dem Andy Warhol in New York die Pop-Art erfand. Vielleicht hatte Warhol ja eine seiner Schmetterlingsfeen nach Sopot geschickt, um mich, das auserwählte Kind, in dem von den Kommunisten grau gestrichenen Osteuropa für Farben zu sensibilisieren. Ich kann mich natürlich nicht daran erinnern, wie ich da als Baby in der Wiege lag und über mir eine für normale Menschen unsichtbare Fee aus New York schwebte. Vermutlich öffnete sie ganz sanft meine Äuglein, küsste mich zart wach und streute pirouettenartige Glitzer in den Raum, während ich die ersten glücklichen, von Begeisterung sprechenden Töne zu artikulieren versuchte. Es muss so gewesen sein, weil ich meine ganze Kindheit lang darunter litt, dass die Kommunisten Sopot und alle anderen Städte in Polen nach dem Zweiten Weltkrieg so trostlos grau angemalt hatten. Schon immer reagierte ich eben sehr stark auf Farben. Ich hatte echt Glück gehabt, dass ich wie die Kinskis nach Westdeutschland abhauen konnte, wo Warhols Tomatensuppendosen nicht nur in Galerien, sondern auch in Supermärkten ausgestellt wurden. Hier war ich auf dem besten Wege, mich von der Raupe zum Schmetterling zu entpuppen. In Hamburg studierte ich Freie Kunst, in Kassel besuchte ich die Documenta, in Berlin ging ich in die Galerie Endart, in Düsseldorf schaute ich mir Ausstellungen der Neuen Wilden an. Das alles war farbig und eben nicht grau oder schwarz-weiß wie die Welt im Kommunismus oder das Kino vor meiner Geburt.
    Nach der Weihnachtsfeier in dem Frankfurter Kulturklub für Spätaussiedler waren mein Onkel und ich im Auto nach Hause gefahren. Wir schrieben den 13 . Dezember, und im Radio kam die Durchsage, dass in Polen gerade der Kriegszustand ausgerufen worden war. Mein Onkel sagte nur Cholera und schwieg. Verdammt , dachte auch ich. Ich wusste, was mein Onkel mit Cholera meinte. Er

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