Havanna für zwei
Prolog
Und die Sonne geht auf, und die Sonne geht unter.
Prediger 1, Vers 5
3. S eptember
Emma erwachte, als der erste Morgenstrahl durch den Spalt zwischen den Schlafzimmervorhängen fiel. Sie rieb sich die Augen und hob, um ihren Mann nicht zu wecken, behutsam ihren rabenschwarzen Schopf vom Kissen. Sie kämpfte mit einer Schreibblockade, und in aller Herrgottsfrühe aufzustehen war ihr jüngster Versuch, neuen Schwung zu finden. Emma war von Natur aus eine Nachteule und kam morgens um sechs nur schwer in die Gänge. Sie tapste hinunter ins Arbeitszimmer, warf ihren Laptop an und wartete, während die Icons nach und nach auf dem Bildschirm erschienen. Sie hatte ihr Leben lang davon geträumt, ihren ersten Roman zu schreiben, doch jetzt fragte sie sich, ob das alles gewesen war, was sie zu der Welt der Worte beisteuern würde. Ihr Mann Paul war sehr geduldig mit ihr, unterstützte sie, wo er nur konnte, und gab ihr den Raum, den sie brauchte, um ihren zweiten Roman fertigzustellen. Nebenbei arbeitete sie halbtags weiter als Journalistin, nahm jedoch nur Aufträge von Magazinen und Fachzeitschriften an, die sie interessierten. Ihr war durchaus bewusst, dass sie eine Freiheit genoss, von der die meisten Schriftsteller nur träumen konnten.
Sie organisierte ihre Dokumentenordner neu und ging ins Internet, um ihre E-Mails abzufragen. Dann tippte sie ein paar Worte, und im Handumdrehen war es halb acht und somit Zeit, die Männer des Hauses zu wecken.
Obwohl Finn leise vor sich hin schnarchte, schlich sie sich in sein Zimmer, um sich davon zu überzeugen, dass er tief und fest schlief. Als sie sah, wie sich seine Brust hob und senkte, lächelte sie mit einer Zufriedenheit, wie sie nur Mütter empfinden, die ihre Kinder beim Schlafen beobachten. Er würde nicht mehr lange Kind sein – er ging schon in die vierte Klasse.
Zuversichtlich, dass ihr Sohn noch ein paar Minütchen liegen bliebe, zog sie los, ihren Mann zu wecken. Nachdem sie fast zwei Stunden am Computer gesessen hatte, war sie hellwach, fühlte sich begehrenswert und hatte spontan beschlossen, ihm mitten in der Woche ein Extravergnügen zu bereiten.
Sie legte die Hand auf seine Stirn, die sich erstaunlich kalt anfühlte. Sanft drückte sie ihm einen Kuss auf die Wange, und in dem Moment bemerkte sie, dass etwas Schreckliches passiert war.
Louise war gerade dabei, die Rinde von den Sandwiches zu schneiden und die ordentlichen kleinen Schinkenbrotquadrate in Plastiktüten zu packen; sie fragte sich, wie sie das früher alles hingekriegt hatte, als sie sich jeden Morgen sputen musste, um nicht nur die Kinder für Schule und Kita fertigzumachen, sondern auch selbst noch pünktlich auf der Matte zu stehen, um als Lehrerin Musik zu unterrichten.
Sie lief zwar noch im Schlafanzug herum, war im Hause Scott aber erst als Zweite aufgestanden. Donal war schon auf dem Weg zur Arbeit; er fing morgens gern zeitig an, um abends früher Schluss machen zu können und noch vor dem Stoßverkehr wieder aus der Stadt heraus zu sein. Im Sommer und Frühherbst nutzte er die gewonnene Zeit, um nach Feierabend zum Yachtclub hinauszufahren und vor Einbruch der Dunkelheit noch eine Runde zu segeln.
Plötzlich schrillte das Festnetztelefon, was Louise erschreckte, weil es sonst morgens nur selten klingelte. Um diese Uhrzeit riefen nur die Mütter an, die sie von der Schule her kannte, um Mitfahrgelegenheiten für ihre Kinder zu arrangieren oder Verabredungen zum Spielen für sie zu treffen, doch die benutzten ihre Handynummer. Als sie abnahm, war ihre Schwester dran.
»Louise!«, schluchzte Emma. »Hilf mir! Es ist Paul! Er atmet nicht mehr!«
Einen Becher Starbucks-Kaffee in der Hand, rauschte Sophie mit einem freundlichen Nicken an der Empfangssekretärin vorbei. Der heutige Tag würde großartig werden – doch für Sophie waren die meisten Tage großartig. Kaum hatte sie an dem Schreibtisch in ihrem kleinen, aber feinen Designbüro Platz genommen, zog sie schon die Schublade auf und kramte ihren Spiegel heraus, um nach dem kurzen Fußmarsch zur Arbeit ihr Aussehen zu überprüfen. Ihre rotblonden Locken hielten perfekt ihre Form, und ihre weichen Lippen glänzten. Sie tippte auf die Maus ihres hochmodernen Apple-Computers und wartete, bis ihre E-Mails auf dem Bildschirm erschienen. Sie überflog sie rasch, auf der Suche nach einer Nachricht von ihm , und checkte die Liste noch einmal. Sie traute ihren Augen nicht. Sonst schickte er ihr vor der Arbeit immer eine E-Mail!
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