Havelgeister (German Edition)
schwieg. Er stand in seinem Arbeitszimmer, vor sich den schwarzen Rucksack, in den er das nagelneue Nachtsichtgerät steckte. Ein Zeissmodell, das ihm Nachbar Paul von einem Jäger aus dem Nachbarort besorgt hatte. Die Schussweste hatte Manzetti bereits umgeschnallt, die Dienstpistole im Holster.
»Komm her«, sagte Kerstin und legte ihm beide Arme um die Hüfte. Sie wusste, dass sie ihn nicht aufhalten konnte. Nicht an diesem Tag. Er würde gehen, egal was sie zu sagen hatte. »Wir brauchen dich«, flüsterte sie ihm ins Ohr. »Auch morgen noch.«
Er küsste sie ganz zärtlich auf die Stirn und nahm ihren Kopf zwischen seine Hände. »Ich euch auch. Wenn ich mich in zwei Stunden nicht melde, dann schickst du meine Kollegen hinterher.«
Kerstin nickte und ließ ihn schließlich los. Manzetti zog den Reißverschluss der dünnen Jacke zu und trat auf den Flur. Da kein Licht brannte, war er schon nach drei Schritten in seiner gänzlich schwarzen Kleidung nicht mehr zu sehen. An der Haustür wartete seine Mutter.
»Nimm es!«, sagte sie und reichte ihm ein ledernes Etui. »Es ist das Stilett deines Großvaters. Damit hat er den alten Fantozzi erstochen. Es gehört jetzt dir und wird dich beschützen.«
»Misericordia – Barmherzigkeit«, sagte Manzetti und bedankte sich. Dann verließ er das Haus und ging, ohne sich noch einmal umzudrehen, zu seinem Auto.
Er fuhr die Dorfstraße entlang und bog an der Einmündung auf die Landstraße nach rechts ab. Über die Mark Brandenburg breitete sich tiefe Dunkelheit, nicht einmal Sterne leuchteten am Himmel. Er folgte der L 911 bis nach Gortz und weiter über Bollmannsruh nach Bagow, wo er gleich hinter der kleinen Kirche nach links abbog. Sein Ziel lag am Riewendsee, einem weiteren der unglaublich reizvollen Gewässer rund um Brandenburg.
Sebastian hatte mit seiner Hackerei herausgefunden, dass eines der Ferienhäuser am Westufer des Sees einer Frau Baade gehörte. Es hatte sich herausgestellt, dass die Gattin des Kriminaldirektors, der durch die gesamte Brandenburger Polizei gerade gesucht wurde, diesen Namen vor ihrer Hochzeit getragen hatte. Sie waren auf die Immobilie aufmerksam geworden, weil von Ludwigs Girokonto Grundsteuern und Stromrechnungen beglichen wurden, die für eben dieses Ferienhaus anfielen. Für Manzetti ein sicheres Indiz, dass sich Ludwig hierhin verzogen hatte.
Im Vogelgesang hielt er an einer Weggabelung und schaltete wie vereinbart das Licht aus. Als sich seine Augen nach wenigen Sekunden an die Dunkelheit gewöhnt hatten, erkannte er neben seinem Kotflügel eine schwarze Gestalt, die ihm das Zeichen gab, in den linken Weg einzubiegen. Nach nicht einmal zehn Metern hielt Manzetti hinter einem Opel Omega und schaltete den Motor ab.
»Hallo Sven«, begrüßte er den schwarzen Mann, von dem noch nicht einmal die Gesichtskonturen auszumachen waren. Die Streifen aus dunkelgrüner und schwarzer Schminke wirkten wie eine Tarnkappe.
Während Sven Manzettis Hand mit festem Griff packte, tauchten neben ihnen zwei weitere schwarze Männer aus dem Gebüsch auf, an der Außenseite des rechten Oberschenkels erkannte Manzetti verschwommen die Konturen eines Schnellziehholsters und in ihrer Hand eine kurze Maschinenpistole.
»Ihr müsst nicht, wenn ihr nicht wollt«, flüsterte Manzetti ihnen zu. »Ich kann euch nicht sagen, was nach der Aktion passiert, aber ich nehme alle Schuld auf mich.«
Sven ließ die Hand von Manzetti los, wofür der wegen des gewaltigen Drucks auf seine Finger sogar ein wenig dankbar war. »Ist schon in Ordnung. Du hast meinem Vater damals sehr geholfen, und das bin ich dir schuldig.«
Manzetti hatte noch auf dem Weg von der Generalstaatsanwaltschaft nach Hause, seinen alten Kumpel Sven Meier angerufen, einen Kommandoführer beim SEK. Mit Sven hatte er nicht nur einige Polizeieinsätze der brisanteren Art über die Bühne gebracht, sondern auch starke soziale Bande geknüpft, als er den Vater des Elitepolizisten aus den Fängen einer Kalabresischen Mafiafamilie freigekauft hatte. Seither hielt sich Herr Meier senior von Im- und Exportgeschäften aus dem und in den Süden Italiens fern.
Und Sven hatte sofort zugesagt, Manzetti zu helfen. Nicht eine einzige Frage hatte er gestellt, lediglich versichert, dass auch er so handeln würde, wenn jemand seine Tochter angriffe.
»Hier«, sagte Sven und reichte Manzetti einen Ohrknopf mit einem langen Kabel. »Nur benutzen, wenn es gar nicht mehr anders geht, und dann auch nur flüstern. Wenn
Weitere Kostenlose Bücher