Havelgeister (German Edition)
dann in Berlin vom Flughafen ab.«
Dann trat eine Pause ein, während der es im Hörer nur raschelte.
»Das machen Sie nicht!«, zerschnitt plötzlich eine markige Stimme das Rascheln. »Mein Name ist Manzetti, und ich werde Ihnen helfen. Zuerst beantworten Sie mir aber bitte einige Fragen.«
»Ja«, sagte Fatmire froh, endlich den Mann am Telefon zu haben, den Henry ihr empfohlen hatte.
»Sind Sie in diesem Wald sicher?«
»Nein. Wenn es hell wird, werden sie mich suchen.«
»Kennen Sie eine deutsche Malerin mit dem Namen Frieda Boll?«
»Ja«, sagte Fatmire.
»Wissen Sie, wo die in Priština gewohnt hat?«
»Nein, aber das kriege ich raus.«
»Dafür haben wir keine Zeit mehr. Haben Sie eine Straßenkarte in Ihrem Auto?«
»Ja.«
»Gut. Sie fahren jetzt möglichst über Umwege nach Lipjan. Der Ort liegt etwa fünfzehn Kilometer von Priština in Richtung Skopje.«
»Ich kenne den Ort.«
»In Lipjan gibt es neben der orthodoxen auch eine Kirche, die keinen Turm hat. Dort gehen Sie hin und fragen nach Antoneta Bajramaj. Die wird Sie verstecken, bis wir Sie abholen. Haben Sie das verstanden?«
Fatmire nickte, obwohl das niemand sehen konnte. »In Lipjan zu der Kirche ohne Turm und nach einer Antoneta Bajramaj fragen«, wiederholte sie die Anweisung.
»Genau«, sagte Manzetti. »Und dort bewegen Sie sich nicht von der Stelle.«
»Verstanden. Dort bewege ich mich nicht von der Stelle. Wann werden Sie kommen?«, fragte Fatmire, denn sie wollte nicht noch Stunden ohne jegliche Hilfe sein.
»Beeilen Sie sich. Wir sind bestimmt vor Ihnen da.«
52
Manzetti legte den Hörer zurück auf die Gabel des alten Bakelittelefons, einem nostalgischen Accessoire im Büro des Generalstaatsanwaltes.
Bremer und Sebastian waren in der Seeheimsiedlung eingetroffen, als Manzetti die ersten fünfhundert Meter in Richtung Brandenburg schon zu Fuß zurückgelegt hatte. Dann war alles sehr schnell gegangen. Bremer hatte mit sparsamen Worten seinen Kenntnisstand preisgegeben, und Sebastian hatte aus seinen Recherchen ergänzt. Manzetti brauchte bloß noch eins und eins zusammenzuzählen und hatte sich dann durchgerungen, Generalstaatsanwalt Neuner anzurufen, einen Mann, vor dem er viel Respekt hatte und den er für absolut integer hielt.
Nun saßen sie mit ihm in seinem Büro, Manzetti, Bremer, Sebastian, Egon Hartmann, der Direktor des LKA, und Rosi Schuster, die Mutter des toten Nepomuk und des vermissten Kevin. Manzetti kam vom Schreibtisch des Generalstaatsanwaltes und setzte sich zu den anderen an den Konferenztisch.
»So, Herr Manzetti. Nun mal Butter bei die Fische«, sagte der Herr des Hauses. »Bevor wir strafprozessuale Maßnahmen ergreifen, brauchen wir ein wenig mehr als die paar vagen Andeutungen, die Sie uns bis jetzt gegeben haben.«
Manzetti zog seinen kleinen Notizblock zu sich heran und klappte ihn auf. Er würde chronologisch beginnen und sich von Bremer oder Sebastian assistieren lassen. Alle Augen waren auf ihn gerichtet.
»Es begann mit dem Graffiti auf dem Dach des Doms. Der Schrei mit dem Konterfei meines Chefs. Wir haben sehr schnell herausgefunden, dass der Schöpfer dieses beachtlichen Werkes nur Nepomuk Böttger sein konnte, was auch die Recherchen des Märkischen Kuriers bestätigt haben. Auch Frieda Boll hat später zugegeben, dass dieses Bild eine Schöpfung ihres Enkels sei, obwohl wir an dieser Stelle von dem verwandtschaftlichen Verhältnis der beiden noch keine Ahnung hatten. In der Nacht, als Nepomuk Böttger mit seiner Crew das Bild angebracht hat, verschwand aus dem Dommuseum ein Teil des Codex Sinaiticus, wovon ich aber erst erfuhr, als die Pressekonferenz mit dem Herrn Staatssekretär schon lief.«
»Und da sind wir schon mitten im Dilemma«, meldete sich der LKA-Direktor zu Wort. »Der Name des Staatssekretärs darf auf gar keinen Fall in Misskredit gezogen werden. Ich bin autorisiert …«
Der Generalstaatsanwalt hob beschwichtigend eine Hand. Er wusste wohl, welche Litanei der LKA-Direktor jetzt abspulen würde. »Keine Sorge. Was hier besprochen wird, geht aus diesem Raum nicht raus. Herr Manzetti, machen Sie bitte weiter.«
»Danke«, sagte Manzetti und blätterte in seinem Notizblock eine Seite um. »Ich erspare Ihnen, auf meine Suspendierung und auf die Festnahme von Herrn Bremer einzugehen, und komme gleich zu dem Obduktionsbefund. Nepomuk Böttger wurde vor seinem Tod schwer gefoltert, nicht durch Schläge oder andere Misshandlungen, aber durch tödlichen
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