Havelgeister (German Edition)
nackten Unterleib. Dann aber sprang er los wie ein Leopard. Mit voller Wucht rammte er Manzetti sein Knie zwischen die Beine und stürzte mit ihm zu Boden. Manzetti stöhnte unter der Last von Ludwigs Körper auf und musste auch noch hinnehmen, dass der Kriminaldirektor gegen den angeschossenen Oberarm schlug. Einmal, zweimal und immer wieder. Der Scherz stach bis unter die Schädeldecke, nahm Manzetti fast die gesamte Luft, setzte aber auf der anderen Seite auch ungeheure Kräfte frei. Mit einem gellenden Schrei richtete er sich auf und drückte seinen Kontrahenten mit dem lädierten linken Arm gegen die Schuppenwand. Mit der rechten Hand griff er vorn an seine Weste und zog das Stilett seines Großvaters aus der Scheide.
Ludwig riss beide Arme in die Höhe und grinste. »Ich ergebe mich, Sie Idiot«, sagte er. »Sie werden mir nichts nachweisen können. Böttger ist tot, und auch sein zweiter Bastard lebt nicht mehr. Und die Malerin …«, wieder lachte Ludwig auf, »… die werden Sie wohl nie finden.«
Manzetti bebte am ganzen Körper. Er schnaufte wie ein Stier in der Arena. »Was ist hinter der Schuppenwand?«, fragte er.
»Was?«, kam es von Ludwig zurück.
»Was ist hinter der Schuppenwand?«, wiederholte Manzetti und drückte seine linke Hand, die um den Hals von Ludwig lag, noch etwas fester zu.
»Nichts«, krächzte der Kriminaldirektor. »Da ist nichts. Nur die dünne Bretterwand.«
Manzetti drückte die Finger noch etwas kräftiger um den Griff des Stiletts. Es lag gut in der Hand, als wäre es für ihn angefertigt worden. »Ihre Verbrechen werden andere mit Ihnen abrechnen. Ich bin nur hier, um Ihren Fehler zu bestrafen.«
»Welchen Fehler?«
»In der Mühle. Sie haben mit einem Stilett auf meine Tochter eingestochen. Das hätten Sie nicht tun dürfen.«
»Ich habe sie am Leben gelassen. Nehmen Sie’s als Akt der Barmherzigkeit.«
Als Manzetti das Stilett über den Kopf hob, erschien Sven Meier in der Tür. »Andrea, tu’s nicht! Es ist vorbei.«
Manzetti sah kurz zu seinem Freund hinüber und dann wieder in die Augen von Ludwig. »Misericordia bedeutet auch Racheengel.«
Dann griff er mit der Linken die Haare von Ludwig, drehte dessen Schädel zur Seite und setzte das Stilett oberhalb des Ohrs an. Mit einer schnellen und kraftvollen Bewegung zog er die scharfe Klinge nach unten.
»Schweineohr nennt man Verbrecher in der Toskana.«
54
Die letzte Bratwurst war vertilgt, als Bremer die große Weidenkiepe zum Grill schleppte, in die er und Manzetti Dutzende Tannenzapfen gesammelt hatten. Jetzt sollte der gemütliche Teil des Grillabends folgen, mit einem kleinen, knackenden Feuer in Manzettis Steinofengrill und geistigen Getränken, wie Bremer sie liebte.
Manzetti hatte es nur einen Tag im Klinikum ausgehalten und sich, nachdem man seinen Arm geflickt und in eine dicke Schiene gesteckt hatte, selbst entlassen. Auch Lara war wieder zu Hause, noch sichtlich benommen auf dem Schaukelstuhl sitzend, der ansonsten nur ihrem Vater zustand.
Als Bremer endlich die Whiskyflasche öffnete, erschraken alle vor einem herzzerreißenden Kindergebrüll. Paola humpelte um die Hausecke und hielt sich mit zusammengekniffenen Augen das linke Schienenbein. Durch ihre dünnen Finger rann dunkelrotes Blut.
»Au, au«, brüllte sie und blieb dann mitten auf dem Rasen stehen.
Manzetti sprang sofort auf, wurde aber von seiner Frau zurückgehalten. Kerstin ging einen Schritt auf Paola zu. »Das ist der Schaukelstuhl deines Vaters«, sagte sie ohne jede Betonung. »Lara darf heute darin sitzen, weil sie wirklich krank ist. Und du gehst jetzt ins Bad und wäschst dir den Ketchup wieder ab.«
Paola zog eine Schippe und stampfte mit dem schwer verletzten Bein auf wie Rumpelstilzchen. Dann verschwand sie laut protes-tierend wieder dahin, wo sie hergekommen war.
»Echt pfiffig«, lobte Bremer den jüngsten Manzettispross und setzte sich neben das Feuer. »Hat sie das von Kerstin oder von dir?«
»Von Paul.« Kerstin drohte dem Nachbarn mit erhobenem Zeigefinger.
»Hätte aber auch klappen können«, entschuldigte der sich und hielt Bremer sein Glas hin. »Aber nun, mein Junge, klär uns doch mal auf, wie die ganze Geschichte ausgegangen ist. So etwas erlebt man schließlich in Ketzür nicht alle Tage.«
Manzetti setzte sich neben Lara und strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Das Wichtigste ist, dass Lara wieder vollkommen gesund wird. Bremer hat einen Termin in Treuenbrietzen organisiert, und da wird
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