Head over Heels 2
Sekunde ohne die Gesellschaft eines anderen Menschen zu sein.
Zwei Tage später darf ich nach Hause. Was ich wohl meiner Überredungskunst zu verdanken habe. Ginge es nach William, würde ich in einem Monat noch im Krankenhaus liegen und jede Sekunde unter Beobachtung stehen.
Ich habe ein wenig Angst, als ich vor Williams Stadthaus in Mayfair stehe, das mir an diesem Tag besonders groß und wuchtig vorkommt. Ich habe Angst vor dem, was drinnen auf mich wartet. Es ist die Realität, über die ich zwar mit geschulten Kräften, darunter zwei Psychologen, gesprochen habe, die allesamt meinten, ich müsse meine Gefühle aussprechen und dürfe mich nicht verkriechen. Im Moment hätte ich mich jedoch am liebsten in ein dunkles Versteck zurückgezogen.
Ich verstehe nun, warum William so ist, wie er ist. Was aus einem wird, wenn man beständiger Gewalt ausgesetzt und nur knapp dem Tod entronnen ist. Wenn einem mehr Leid zugefügt wird, als man ertragen kann. Will man nicht zerbrechen, muss man eine unbändige Stärke entwickeln, robuster und abweisender als die Umgebung sein.
Moment an bin ich nur verletzlich, ob meine Stärke je wiederkommt, wage ich zu bezweifeln.
William ö ffnet die Tür, seine Hand liegt beruhigend auf meinem Rücken, während er in der anderen meine Tasche mit meinen Habseligkeiten trägt. Heute scheint ausnahmsweise die Sonne, wie bestellt zu meinem Empfang. Der Eingangsbereich wirkt dadurch gleich viel freundlicher. Ich halte am Treppenabsatz an und starre zurück zur Tür. Als ich dort das letzte Mal stand, war alles noch in Ordnung.
„ Es ist ein komisches Gefühl“, beantworte ich Williams stumme Frage.
Er nickt und stellt die Tasche ab. „ Ich habe bereits mit meinem Makler gesprochen. Ich werde das Haus verkaufen.“
Verblü fft starre ich ihn an. „Was? Warum?“
„ Du kannst hier nicht bleiben. So wirst du es nie verarbeiten können.“
„ William, du liebst dieses Haus.“
„ Nicht mehr. Ich hasse es“, versichert er mit fester Stimme und greift nach meinen Händen. „Wir suchen uns etwas Neues, das uns beiden gefällt. Egal, ob in London oder außerhalb. Überall, wo du hin möchtest, werde ich mitkommen.“
Ich ringe mir ein Lä cheln ab, obwohl die Tränen schon längst wieder am Fließen sind. „William“, zu mehr bin ich nicht imstande.
Er zieht mich an sich, streicht ü ber meine Wange, wie er es immer macht, wenn ich weine, das hat sich wenigstens nicht geändert. „Wir packen jetzt deine Sachen, fahren zu deiner Wohnung und ich verspreche dir, dass du dieses Haus nie wieder betreten musst. Ich weiß die schönen Erinnerungen zu schätzen, doch die stellen sich überall von neuem ein. Kopf hoch, Babe. Ich bin bei dir.“
„ Ich liebe dich“, flüstere ich und stelle mich auf die Zehenspitzen, um seinen Mund zu erreichen.
„ Ich liebe dich auch, Babe. Für den Rest meines Lebens“, fügt er hinzu, dann küsst er mich – zögernd, als könnte er mich verletzen. Doch gerade er, dieser wundervolle Mann, könnte das niemals.
Niemand kann mir je mehr Schmerz en zufügen, solange ich an Williams Seite bin. Es tut gut, ihn bei mir zu haben. Ich atme wieder, lebe wieder, nicht nur dank ihm, sondern alleine und aus ganzem Herzen für ihn.
Ja, ich werde dich nie wieder loslassen, denke ich und schlinge die Arme um ihn.
Epilog
„ Sommer 2014, Porthtowan – sie läuft“, notiere ich unter dem Schwarz-Weiß-Bild in dem neuen Fotoalbum.
Ein warmes Lü ftchen regt sich, das mir und meinen Unterlagen aber nichts anhaben kann, da ich mich auf unserem wunderschönen Balkon mit Ausblick über die Küste befinde. Ich lasse meinen Blick geistesabwesend in die Ferne schweifen. Es ist ein Traum!
Ich bin ein Kü stenkind, bin mit den Wellen, der Gischt und dem sandigen Strand aufgewachsen. Sicher vermisse ich London. Jedoch sind Tage wie diese nicht einmal durch die besten Verkehrsverbindungen und das interessanteste Stadtleben aufzuwiegen.
William hat mir mit diesem Geburtstagsgeschenk einen Herzenswunsch erfüllt. Ich kann hier leben und genießen und brauche mir um nichts mehr Sorgen zu machen.
Wä hrend ich mich zurücklehne und den dreien beim Spielen zusehe, dreht sich William in meine Richtung. Die Sonne tut ihm gut. Er ist braun gebrannt, sein Haar von hellen Strähnen durchsetzt, er wirkt ausgeruht, weil er in unserem Refugium die Arbeit vergessen kann.
Er sagt etwas zu Gabriel und eilt dann zu mir. Die schmale Treppe nimmt er mit Schwung, tritt hinter mich
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