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Hebamme von Sylt

Hebamme von Sylt

Titel: Hebamme von Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Pauly
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Auskommen sorgen musste oder als Fischer auf dem Boot eines anderen, der verdiente kaum sein tägliches Brot. So einer schloss sich oft den Strandräubern an, um zu überleben. Aber Andrees würde vermutlich nicht einmal das tun. Wieder griff die Angst nach ihr, dass sie Andrees an ihren Traum von der Zukunft verlieren würde.
    »Wenn er doch endlich sein eigenes Boot hätte«, sagte sie, »dann könnte er wieder glücklich sein.«
    Sie stellte fest, dass Freda ruhiger wurde, als sie einen Becher mit heißem Tee in der Hand hatte und ihn vorsichtig schlürfte. Gelegentlich setzte sie ihn ab, schloss die Augen, beugte sich vor, legte die Stirn auf die Tischplatte und stöhnte leise. Aber die Abstände zwischen den Wehen waren noch groß. Fredas Kind würde erst in ein paar Stunden zur Welt kommen. Heimlich hoffte Geesche, dass Jens Boyken bis dahin zurückgekehrt war.
    Das Schweigen trat nun in die Küche wie ein hoher Gast, der alle anderen mundtot machte. Freda war in Gedanken bei ihrem Mann, dachte an die bevorstehende Geburt, faltete die Hände, als wollte sie um göttlichen Beistand bitten. Geesches Gedanken wanderten zu Andrees. Ob er auch zum Strand gegangen war, um nach den heimkehrenden Fischern Ausschau zu halten? Oder nach dem ersten Strandgut, mit dem das Unheil verkündet wurde? Dann würde er hoffentlich auf Ebbo, Fredas Stiefsohn, aufmerksam werden und dafür sorgen, dass der Siebenjährige sicher nach Hause kam und bei den Nachbarn Unterschlupf fand, bis Freda wieder bei Kräften war.
    Das Heulen des Windes verlor sein Gleichmaß. Es gab nun Augenblicke, da fiel es in sich zusammen, da tat sich eine kurze,unheimliche Stille auf, dann aber rüttelte der Sturm umso heftiger an den Türen und Fenstern.
    In eine winzige Flaute hinein drang plötzlich ein anderes Geräusch, das nicht in diese Sturmnacht passte, ein leichtes Klappern, ganz und gar unwirklich für diesen finsteren bedrohlichen Abend.
    Auch Freda war aufmerksam geworden. Und sie sprach aus, was Geesche nicht glauben mochte: »Pferde?« Und dann, als sich neben dem Getrappel auch das Rumpeln großer Räder näherte: »Eine Kutsche?«
    Geesche sprang auf und lief in den Flur. Dort blieb sie stehen und lauschte. Nun wieder schien nur der Sturm vor dem Haus zu stehen, aber das Hufgetrappel und die Räder der Kutsche hatten sich nicht entfernt, nein, sie waren zum Stillstand gekommen.
    Geesche raffte ihr wollenes Tuch vor der Brust zusammen, bevor sie die Tür öffnete. Die Kutsche, die vor ihrem Haus stand, erkannte sie sofort. Sie gehörte dem Grafen von Zederlitz, der mehrere Monate des Jahres auf Sylt verbrachte. Den Kutscher, der nun auf Geesche zutrat, hatte er von seinem schleswig-holsteinischen Gut mit nach Sylt gebracht.
    Der Mann tippte mit der rechten Hand an seine Mütze, während er sie mit der linken festhielt. »Mein Herr schickt mich«, sagte er. »Ich soll die Hebamme holen. Bei der Gräfin haben die Wehen eingesetzt.« Er wies zur Kutsche. »Bitte! Es eilt!«
    Geesche hörte ein Scharren hinter sich und drehte sich um. Freda war in der Küchentür erschienen und starrte den Kutscher ängstlich an.
    »Das geht nicht«, sagte Geesche und gab dem Mann einen Wink, damit er eintrat und sie ihr Haus vor dem Wind verschließen konnte. »Ich habe schon eine Gebärende aufgenommen. Die kann ich nicht allein lassen.«
    Der Kutscher betrachtete Freda, die zur Tür des Gebärzimmers ging, als wollte sie damit ihr Recht verdeutlichen.
    »Aber mein Herr hat mir aufgetragen …«, begann er, brach dann aber ab, weil er einsah, dass die Hebamme eine Frau, die sich soeben in ihre Obhut begeben hatte, nicht wegschicken konnte. Ratlos sah er sie an. »Was soll ich meinem Herrn sagen?«
    »Bring die Frau Gräfin zu mir«, antwortete Geesche. Und als der Mann zögerte, ergänzte sie: »In der Kutsche hat sie es bequem. Ich richte währenddessen alles her.« Und beruhigend, damit der Kutscher unbesorgt zurückfahren und ohne Angst vor seinen Herrn treten konnte, fügte sie hinzu: »Ich bereite für die Frau Gräfin in der Küche ein Lager vor. Dort ist es warm.«
    »In der Küche?« Der Mann sah sie zweifelnd an.
    Geesche schob ihn zur Tür. »In meiner Küche gibt es einen Alkoven. In das Bettzeug gebe ich einen Bettwärmer. Sie wird es bequem und warm bei mir haben. Sag deinem Herrn, es ist alles bereit für seine Gemahlin.« Sie öffnete die Tür und drängte den Kutscher aus dem Haus. »Trödel nicht! Je eher die Gräfin zu mir kommt, desto

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