Heerführer der Finsternis
ihn nur mit Abscheu.
Chipaws Liebe hatte er vielfach zu entmutigen versucht – indem er sie seine Verachtung spüren ließ, indem er ihr die Lebenskraft nahm, daß ihr schöner Körper in kurzer Zeit verfiel. Aber selbst an der Schwelle des Todes hatte sie nur Mitleid und Liebe für ihn.
Aber nun, da ALLUMEDDON bevorstand, waren Chipaw und die Vergangenheit nicht mehr von Bedeutung.
Jenseits des Tores, das Oannon zu einem Tempel Genrals erhoben hatte, lag die düstere Welt Vangor, die an der Schwelle des Todes stand. Das Leben war bereits erloschen, das Licht war nur noch eine glimmende Fackel. Was sich auf Vangor bewegte, brauchte kein Licht. Es gehorchte blind den lenkenden Kräften, die von der Finsterburg Tra-Zylum aus nach ihnen griffen: nach den geistlosen, willenlosen, übermenschlich mächtigen Kriegern der Finsternis.
Yhr trug Xatan über die endlosen Ebenen Vangors, in deren schwarzem, rauchigem Staub Zehntausende standen und warteten: Shrouks, Gianten, Besessene – menschliche Körper, die vom Leben nichts mehr wußten, und denen der Tod nichts mehr anzuhaben vermochte.
Sie schimmerten im sterbenden Licht in ihrem metallenen Rüstzeug aus Stahl und Gold und Silber. Ihre Augen waren Dunkel und ohne Blick. Daß sie ALLUMEDDON über die Lichtwelt bringen sollten, bedeutete ihnen nichts. In ihren Köpfen und ihren Seelen hatte ALLUMEDDON längst stattgefunden.
Die Berge kamen rasch näher, denn Yhr flog mit solcher Geschwindigkeit, wie es kein lebendes Wesen zuwege brachte. Geflügelte Drachen tauchten wie aus dem Nichts auf und schwebten abwartend mit gewaltigen dreieckigen Flügeln, bis sie erkannten, daß Xatan zurückkehrte.
Sie waren die Wächter von Tra-Zylum – keine wirklich lebenden Geschöpfe, nur Scheinleben wie das meiste, das aus der Finsternis kam. Sie waren wundersam anzusehen mit den langen Schnäbeln an den winzigen Köpfen und den schlangengleichen Schwänzen. Sie bewegten ihre Flügel kaum. Sie hingen träge am Himmel. Es war kein Aufwind, der sie dort hielt, sondern Schwarze Magie.
Hinter ihnen ragten gigantische schwarze Spitzen tief ins rötliche Firmament. Es glich nichts, was Menschen je gebaut hatten, und doch war es aus mächtigen Quadern gefügt. Steinerne Türme, die aus einem klobigen Unterbau hochstrebten, sich verjüngten und wie Lanzenspitzen in die düsteren Wolken stießen. Dazwischen, einem Flechtwerk gleich, unzählige Brücken und Wehrgänge bis hinauf in schwindelerregende Höhen. Aus den Fensteröffnungen und Schießscharten drang kein Lichtschein. Doch eine wogende Schwärze war allgegenwärtig. Der Stein war getränkt damit. Bis auf das klagende Heulen eines Wolfes lag Totenstille über diesem Bollwerk der Finsternis.
Das war Tra-Zylum, Hort Corchwiils, des Dämons der Wölfe, und Heim Xatans. Von hier würde ALLUMEDDON seinen Ausgang nehmen.
Am Fuß der Mauern waren die Totenäcker des Lichts. Den schäumenden Wogen eines Meeres gleich waren noch vor kurzer Zeit Heerscharen des Lichts gegen die verhaßten Mauern gebrandet, doch weder Kraft, noch Magie hatte sie bezwingen können. Ein Wall von Erschlagenen, von zerbeulten Rüstungen und zerbrochenen Waffen, verlief um die Finsterburg.
Der Gestank von Fäulnis stieg zum Himmel auf, doch es kümmerte niemanden, außer der alten Frau, die auf dem Wehrgang eines der Türme stand und Yhrs Ankunft mit ausdruckslosen Augen beobachtete. Zwei Wolfskrieger standen an ihrer Seite, nicht minder reglos.
Xatan verließ Yhr und trat der Frau entgegen. Ein kaltes Lächeln war auf seinen Lippen, als er den Wolfshelm abnahm und sagte:
»Ah, Mutter, bist du hier, um deinen Sohn in die Arme zu schließen?«
»Wenn er käme«, erwiderte sie leise.
Xatan zog die Augenbrauen hoch. »Erwartest du noch jemanden?« Er deutete grinsend auf den düsteren Himmel, aus dem die geflügelten Drachen zurückkehrten. »Möchtest du, daß ich den Wächtern befehle, deinen Besucher durchzulassen?«
»Du verstehst mich gut genug«, sagte sie ruhig.
»Du hast noch immer Träume, alte Frau. Corchwiil hat nicht sehr gründlich damit aufgeräumt.«
»Die Wahrheit ist tief in mir vergraben, so tief, daß selbst Corchwiil, dieser Teufel, sie nicht herauszureißen vermag. Meine Wölfe wissen sie nicht mehr, aber ich… ich werde sie wissen, so lange ich atme…«
»Daß du noch atmest, Chipaw«, begann Xatan grimmig.
»Ich weiß, das verdanke ich meinen Wölfen. Ihr hättet nicht diese Macht über sie ohne mich. Deshalb lebe ich noch. Aber
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