Heidegger - Grundwissen Philosophie
»Urteilsvollzug« ergeben soll. Heidegger entnimmt den beiden bedeutendsten antipsychologistischen Denkbewegungen am Anfang des 20. Jahrhunderts, der neukantianischen Geltungsphilosophie und der Phänomenologie, aber nicht nur seine Argumente gegen den Psychologismus, sondern auch seine Argumente zum »Wesen des Urteils«. Und dies ist kein Zufall. Heideggers Interesse am Urteil ist gut begründet. Er wählt die »
Lehre vom Urteil
[…], weil sich am Urteil, das mit Recht als ›Zelle‹, d. h. als Urelement der Logik, betrachtet wird, am schärfsten der Unterschied zwischen Psychischem und Logischem herausstellen lassen muß, weil vom Urteil aus der eigentliche Aufbau der Logik sich zu vollziehen hat« (GA 1, 64).
Wie immer man das komplizierte Spannungsverhältnis von Geltungsphilosophie und Phänomenologie im Frühwerk von Heidegger einschätzen mag, sicher ist, daß Heidegger es seinerzeit Rickert, Lask und Husserl als Verdienst anrechnete, das Urteil vom »Vorstellungsinhalt« im Sinne des »Urteilssinns« abgegrenzt zu haben, womit Rickert, Lask und Husserl »den psychologischen Bann eigentlich gebrochen« haben. Auch Heideggers Antipsychologismus ist durch diese Unterscheidung von »Urteilssinn« und »Urteilsvollzug« charakterisiert.
Antipsychologismus: Urteilssinn und Urteilsvollzug
Heideggers Strategie, den Psychologismus zu widerlegen, besteht aus zwei Teilschritten: In einem ersten Schritt attackiert er die Konsequenzen, die sich aus den Versuchen ergeben, die Logik psychologistisch zu fundieren, um dann in einem zweiten Schritt mittels ebendieser Unterscheidung die Voraussetzungen des Psychologismus in Frage zu stellen.
[11] Die Quintessenz seiner Psychologismuskritik besteht in der Feststellung, daß die »verschiedenen Urteilslehren in der allgemeinen Auffassung des Urteils« darin einig sind, daß »das Urteil […] ein psychischer Vorgang« sei, der »sich in den Zusammenhang der psychischen Wirklichkeit einordnet« (GA 1, 116f.). Genau hierin sieht Heidegger den Grundfehler der bekämpften Position. »Die
Ableitung des Urteils aus der Grundeigenschaft der apperzeptiven Geistestätigkeit [
...
] ist Psychologismus
« (GA 1, 162), was insofern auch plausibel ist, als wir die Wahrheit oder Falschheit unserer Urteile ganz offensichtlich nicht von dem einwandfreien Funktionieren unseres Bewußtseins abhängig machen. Wenn wir fälschlicherweise von einem roten Tisch sagen, er sei blau, dann erklären wir diesen Fehler mit Rekurs auf eine Wahrnehmungstäuschung oder damit, daß wir die Farbprädikate »rot« und »blau« verwechselt haben, nicht aber damit, daß wir sagen, unser Bewußtsein hat gerade nicht richtig gearbeitet.
Der Gehalt unserer Überzeugungen, Heidegger spricht hier durchweg von Urteilen, läßt sich nicht aus der »apperzeptiven Geistestätigkeit« ableiten. »
Die Problematik des Urteils liegt nicht im Psychischen
.« (GA 1, 164) Zudem kollidiert die psychologistische Fundierung der Logik mit ihrem normativen Charakter, weshalb solch eine Position abzulehnen sei. Denn wenn sich die Logik mit der Normierung des Denkens befaßt, dann kann die normierende Kraft nicht in einem empirischen Sinn verstanden werden. Für Heidegger ist früh schon klar, daß sich der Psychologismus mit »seinen relativistischen Konsequenzen« selbst widerlegt. Gleichwohl meint er, daß mit der Feststellung seiner relativistischen Konsequenzen in positiver Hinsicht wenig ausgemacht sei. (GA 1, 165)
Heidegger greift also den Psychologismus als Relativismus mit einem Selbstwiderlegungsargument an und fragt dann, worin die Alternative zu dieser selbstwidersprüchlichen Position besteht. Und diese Alternative sieht er durch die Geltungsphilosophie vorgezeichnet, insofern hier »
die Wirklichkeitsform des im Urteilsvorgang aufgedeckten identischen Faktors
« als [12]
geltender Sinn
bestimmt wird. Heidegger orientiert sich mit der Unterscheidung von Urteilssinn und Urteilsvollzug, von logischem Gehalt und psychischen Akten an der Geltungsphilosophie, weil er der Auffassung ist, daß das »in der Zeit verlaufende Denkgeschehen« und der »ideale außerzeitliche identische Sinn« nicht identisch sein können. Nach Heidegger muß man das, »was ›ist‹, von dem, was ›gilt‹ «, unterscheiden. Diese Unterscheidung, die für Heidegger eine zwischen dem Faktischen und dem Normativen ist, hat der Psychologismus nicht getroffen und statt dessen das Normative ins Faktische herabgezogen. Genau dies hält Heidegger
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