Heidelberger Wut
schon mal was!«
Jetzt erst erkannte ich, dass nicht nur Theresa beim Frisör gewesen war. Beim Frühstück hatten meine Töchter die gerstenblonden, glatten Haare noch lang getragen, jetzt waren die Mittelscheitel zur Seite gerutscht, das Haar ein gutes Stück kürzer, eine raffinierte Strähne fiel übers linke Auge. Die beiden wirkten plötzlich zwei Jahre älter.
»Hübsch«, sagte ich lahm. »Wirklich!«
Ein kurzes Lächeln blitzte in vier wasserblauen Augen. Mir machte es zu schaffen, wie rasch meine Kinder sich in den letzten Monaten zu attraktiven jungen Frauen entwickelten. Anfangs hatten sie noch rührend ausgesehen mit ihren bauchfreien Tops an den mageren Körpern, ihren harmlosen Versuchen, älter zu wirken, als sie waren. Natürlich hatten sie längst ihre Tage, was ich aber nur daran gemerkt hatte, dass auf einmal blassblaue Kartönchen mit Tampons im Bad herumlagen, und ihre Formen wurden von Monat zu Monat fraulicher, reifer, runder.
Ich dachte an mein Gespräch mit Theresa und diese unselige Geschichte in der Straßenbahn. Die Vorstellung machte mir zu schaffen, wie auch meine Töchter, ausgestattet mit Kinderseelen, aber auf einmal mit Körpern heranreifender Frauen, ahnungslos durch die Welt stolperten. Ihr Wissen über Sex und Liebe bezogen sie im Großen und Ganzen aus dem Fernsehen und ihren Bravo-Heftchen. Immerhin wurden dort auch Themen wie ungewollte Schwangerschaft und Geschlechtskrankheiten behandelt, wie ich mich vergewissert hatte. Mehrfach hatte ich versucht, mit ihnen über diese Dinge zu sprechen, aber es war mir nicht gelungen. Obwohl wir sonst über alles reden konnten, diese Themen waren tabu, und ich hätte nicht einmal sagen können, ob das an mir oder an meinen Mädchen lag. Und dabei gab es doch zur Zeit sicherlich nichts Wichtigeres in ihrem Leben.
Sarah fühlte mit der Zunge nach ihrem schmerzenden Zahn und versprach missmutig, gleich morgen alle ihre Freundinnen anzurufen und sich nach einem akzeptablen Zahnarzt zu erkundigen. Und gleich am Montag, ehrlich, ganz bestimmt, würde sie sich um einen Termin kümmern.
»Aber nur, wenn du mitkommst!«
»Sarah, du bist doch kein Kind mehr! Ich bin schon mit zehn allein zum Zahnarzt gegangen!«
»Mama ist aber immer mitgekommen! Und sie hat auch immer Angst gehabt.«
»Und du bestimmt auch«, assistierte Louise. »Du willst es bloß nicht zugeben.«
»Angst ist dazu da, dass man sie überwindet.«
»Quatsch. In der Schule haben wir gelernt, man hat Angst, damit man sich nicht unnötig in Gefahr begibt.«
Manchmal finde ich, die Schule sollte sich nicht um alles kümmern.
»Jetzt guckt erst mal, welcher Zahnarzt euch gefällt, und dann sehen wir weiter, okay?«
»Du hast dann doch wieder keine Zeit, wetten?«, zischte Sarah.
»Habt ihr schon Pläne fürs Wochenende?«
Sie sahen mir beunruhigt ins Gesicht. »Wieso?«
»Wir könnten mal wieder was zusammen machen.«
Ihre Mienen wurden misstrauisch. »Was denn?«
»Ich koche uns was Schönes, und wir essen am Sonntag mal wieder so richtig gemütlich zusammen.«
»Du kochst?«, fragten sie erschrocken.
Jetzt war ich doch ein wenig beleidigt. Gut, es war noch nicht so lange her, dass ich beschlossen hatte, ordentlich kochen zu lernen. Ich hatte mir Bücher gekauft, aus dem Internet Rezepte heruntergeladen, Experimente durchgeführt, und inzwischen fand ich die Ergebnisse meiner Bemühungen gar nicht mehr so übel. Meine Töchter waren in diesem Punkt jedoch hartnäckig anderer Ansicht.
»Ihr dürft aussuchen, was es gibt«, schlug ich vor. »Aber sagt nicht wieder Spaghetti mit Nutella.«
Sie wechselten einen Blick.
»Pizza«, schlug Louise ohne Begeisterung vor. »Pizza geht immer.«
»Oder Döner«, meinte Sarah.
Sie sahen mich an. »Hamburger! Selber gemachte Hamburger, das wär doch mal cool!«
»Mädels, ich hatte nicht vor, einen Schnellimbiss aufzumachen. Ich wollte was Richtiges kochen. Außerdem soll man nicht ständig Fleisch essen. Das ist ungesund.«
»Du hast aber gesagt, wir dürfen uns was wünschen!«
So einigten wir uns schließlich doch auf Pizza. Ein Rezept für den Teig musste ich irgendwo haben, und der Rest konnte kein Problem sein. Um meinem Gewissen etwas Gutes zu tun, würde ich eine große Schüssel Salat dazustellen, den ich aber vermutlich alleine verspeisen würde.
Meine Töchter hassten nun mal alles, was gesund war.
3
Die morgendliche Routinebesprechung am Montag hatte eben begonnen, noch hatten nicht alle meine Mitarbeiter
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