Heidelberger Wut
Kriminalität.
Wie soll man nun auf dieser Basis Kriminalromane schreiben? Nach langem Nachdenken wurde mir klar, es kann nur so gehen: Die müllübersäte Metropole wird durch eine überschaubare Stadt ersetzt, in der das Leben zumindest scheinbar noch in Ordnung ist. Heidelberg kenne ich, seit ich kurz vor dem Abitur zum ersten Mal per Anhalter dort war. Später habe ich es oft besucht, immer wieder genossen und bald lieben gelernt. Eine kleine Großstadt mit so unendlich vielen Facetten, so voller Schönheit und Brüche, Romantik und an manchen Stellen, die Heidelberger mögen mir verzeihen, eben doch Dreck und Müll und den Problemen, die jede Stadt dieser Größe nun einmal hat. Schon nach den ersten hundert Seiten des »Heidelberger Requiems« war offensichtlich, dass diese Stadt als Handlungsort für einen Kriminalroman nach meinem Geschmack geradezu eine Idealbesetzung ist.
Kriminalrat Alexander Gerlach, mein Protagonist, ist kein verlorener Trinker, kein am Leben und seinem Job Verzweifelter, kein von Chef und Kollegen gemobbter einsamer Wolf, sondern ein Mensch wie Sie und ich. Er hat seine Probleme, er hat auch seine Stärken. Er hat seine Sorgen und Nöte und auch seine Erfolge und schönen Momente. Manchmal mogelt er sich durch wie wir alle, hin und wieder ist er sogar richtig gut. Oft wächst ihm alles über den Kopf, aber irgendwie klappt es dann am Ende meistens doch.
Er hat (natürlich nicht ganz ohne Absicht) eine Menge mit mir gemein. Wie ich ist auch er Vater – allerdings habe ich keine Zwillinge, und meine Töchter haben die Pubertät schon ein Weilchen hinter sich – und durchlebt alle damit verbundenen Freuden und Leiden. Seine berufliche Situation ähnelt meiner stark: Als Leiter eines relativ großen Forschungslabors sitze ich im steten Spannungsfeld zwischen einem Chef, der Erfolge erwartet, Untergebenen, die sie nicht immer liefern, und Umständen, die sie nur zu oft fast unmöglich machen. Gerlach zerreißt sich als Kripochef zwischen der Verwaltungsbürokratie, deren Teil er ist, der Ermittlungsarbeit auf der Straße, von der er nicht lassen kann, und seinem bewegten und oft kräftezehrenden Privatleben.
Und auch mein Gerlach glaubt natürlich nicht an das Böse im Menschen, auch wenn er das in Gesprächen hartnäckig anders darstellt. Tief drinnen trägt er nämlich dieselben Überzeugungen, denselben Grundoptimismus wie sein Schöpfer. Dennoch möchte ich nicht in seiner Haut stecken, und vermutlich möchten das auch nicht viele meiner Leser. Ständig muss man Angst um ihn haben, manchmal will man ihn an den Ohren packen und ausschimpfen, hin und wieder möchte man ihn in den Arm nehmen und trösten. Aber am Ende freue ich mich regelmäßig mit Gerlach, wenn es wider alle Erwartung noch einmal gut gegangen ist. Auch wenn es ihm wieder nicht gelang, das Böse aus der Welt oder wenigstens Ordnung auf seinem Schreibtisch zu schaffen.
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