Heidi und andere klassische Kindergeschichten
will ich dir das Vorbeigehen vertreiben, Schlafpelz, was heißt das?« rief ihm der Öhi zu.
Der Peter war bei dem Ton der bekannten Stimme aufgeschossen.
»War noch niemand auf«, gab er zurück.
»Hast du etwas von dem Stuhl gesehen?« frug der Öhi wieder.
»Von welchem?« rief der Peter störrisch zurück.
Der Öhi sagte nichts mehr. Er breitete seine Tücher an den sonnigen Abhang hin, setzte Klara darauf und wollte wissen, ob’s ihr so bequem sei.
»So bequem wie im Stuhl«, sagte sie dankend, »und am schönsten Platz bin ich da. Da ist’s so schön, Heidi, so schön!« rief sie, rings um sich blickend, aus.
Der Großvater schickte sich zur Rückkehr an. Er sagte, sie sollten sich’s nun wohl sein lassen miteinander, und wenn die Zeit da sei, sollte Heidi das Mittagsmahl herbeiholen, das er, in den Sack verpackt, drüben in den Schatten gelegt hatte. Dann sollte der Peter ihnen Milch dazu geben, soviel sie trinken wollten, aber das Heidi sollte gut aufpassen, daß er sie vom Schwänli nehme. Gegen Abend wollte der Großvater wiederkommen; jetzt wollte er vor allem dem Stuhle nachgehen und sehen, was aus ihm geworden sei.
Der Himmel war dunkelblau, und um und um war nicht ein einziges Wölkchen zu sehen. Auf dem großen Schneefelde drüben blitzte es wie von tausend und tausend Gold-und Silbersternen. Die grauen Felsenhörner standen hoch und fest an ihrem Platze, wie vor alter Zeit, und schauten ernsthaft ins Tal hinab. Der große Vogel wiegte sich oben im Blau, und über die Höhen strich der Bergwind hin und wehte kühl rings um die sonnige Alp. Den Kindern war es unbeschreiblich wohl. Von Zeit zu Zeit kam ein Geißlein heran und ließ sich ein wenig nieder bei ihnen; am häufigsten kam das zärtliche Schneehöppli und legte sein Köpfchen an das Heidi heran und wäre da wohl gar nicht mehr weggegangen, hätte es nicht ein anderes von der Herde wieder vertrieben. So lernte Klara jetzt eine um die andere von den Geißen so nahe kennen, daß sie niemals mehr eine mit der andern verwechselte, denn jede hatte ja auch ein ganz besonderes Gesicht und ihre eigene Art.
Sie wurden jetzt auch so zutraulich zu Klara, daß sie ihr ganz nahe kamen und ihre Köpfe an ihren Schultern rieben; das war immer das Zeichen ihrer nahen Bekanntschaft und Zuneigung.
So waren schon einige Stunden vergangen; da kam es dem Heidi in den Sinn, wenn es doch einmal hinübergehen könnte an den Platz, wo die vielen Blumen waren, und sehen, ob sie auch alle offenstehen und so schön seien wie vor dem Jahr. Erst am Abend, wenn der Großvater wiederkam, konnte man auch mit Klara hinübergehen, und dann machten die Blumen vielleicht schon wieder die Augen zu. Das Verlangen stieg immer höher im Heidi, es konnte nicht mehr widerstehen.
Ein wenig zaghaft fragte es: »Wirst du nicht böse, Klara, wenn ich geschwind von dir fortlaufe und du allein sein mußt? Ich möchte so gern sehen, wie die Blumen sind. Aber warte…« Dem Heidi war ein Gedanke gekommen. Es sprang auf die Seite und riß ein paar schöne Büschel von den grünen Kräutern aus. Dann nahm es das Schneehöppli um den Hals, das ihm gleich zugelaufen war, und führte es der Klara zu.
»So, jetzt mußt du doch nicht allein sein«, sagte das Heidi, indem es auf seinen Platz neben Klara das Schneehöppli ein wenig hindrückte, was das Geißlein gleich gut verstand und sich niederlegte. Dann warf Heidi seine Blätter der Klara in den Schoß, und diese sagte erfreut, das Heidi solle jetzt nur gehen und die Blumen recht ansehen, sie wolle gern allein mit dem Geißlein bleiben; das hatte sie ja noch gar nie erlebt. Das Heidi rannte fort, und Klara fing nun an, Blättchen für Blättchen dem Schneehöppli hinzuhalten, und dieses wurde so zutraulich, daß es sich ganz an seine neue Freundin anschmiegte und die Blättchen ihr langsam aus den Fingern fraß. Man konnte auch gut sehen, wie wohl es ihm war, daß es da so ruhig und friedlich in gutem Schutze liegen durfte, denn draußen bei der Herde hatte es immer viele Verfolgungen auszustehen von den großen und starken Geißen. Der Klara kam es so köstlich vor, so ganz allein auf einem Berge zu sitzen, nur mit einem zutraulichen Geißlein, das ganz hilfsbedürftig zu ihr aufsah. Ein großer Wunsch stieg auf in ihr, auch einmal ihr eigener Herr zu sein und einem andern helfen zu können und nicht nur immer sich von allen anderen helfen lassen zu müssen. Und es kamen der Klara jetzt so viele Gedanken, die sie gar nie gehabt
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