Heidi und andere klassische Kindergeschichten
von oben bis unten, das gehört alles dir; du bist der Besitzer, es ist dein väterliches Erbgut. Da ist deine Heimat; dein Name steht im Taufbuch, du bist der Sohn von Enrico Trevillo, und der war meines Mannes nächster Freund.«
Stineli hatte bei den ersten zwei Worten schon alles begriffen und unaussprechliche Freude überstrahlte sein Gesicht. Rico saß wie versteinert auf seinem Stuhl und gab keinen Laut von sich. Aber der Silvio, große Kurzweil ahnend, brach in Jubel aus und rief:
»O jetzt gehört auf einmal das Haus dem Rico! Wo muß er schlafen?«
»Muß? Muß? Silvio!« sagte die Mutter. »In allen Stuben kann er sein, wo er will; er kann uns alle drei heut’ noch da hinausstellen, wenn er will, und ganz mutterseelenallein im Hause bleiben.«
»Dann ging ich lieber auch zu euch hinaus«, sagte Rico.
»Ach, du guter Rico!« rief Frau Menotti aus; »wenn du uns da drinnen haben willst, wie bleiben wir so gern! Siehst du, ich habe mir schon im Heimweg ein wenig ausgedacht, wie wir es machen könnten. Ich könnte dir das halbe Haus abnehmen und so mit dem Garten und dem Land; so gehörte die eine Hälfte von allem dir und die andere dem Silvio.«
»Dann geb’ ich meine Hälfte dem Stineli«, rief Silvio.
»Und ich die meine auch«, sagte Rico.
»Oho, nun gehört alles dem Stineli!« frohlockte der Kleine aus seinem Bett heraus, »der Garten und das Haus und alles, was drin ist, die Stühle und die Tische und ich und der Rico und seine Geige. Jetzt wollen wir wieder singen!«
Aber so abgemacht, wie der Silvio die Sache auffaßte, kam sie dem Rico nicht vor. Er hatte unterdessen über die Worte der Frau Menotti nachgedacht und fragte nun zaghaft:
»Aber wie könnte das sein, daß das Haus von Silvios Vater mein wäre, darum, daß mein Vater sein Freund war?«
Da fiel es der Frau Menotti erst ein, daß ja der Rico von dem ganzen Hergang der Sache noch nichts wußte, und sie fing gleich an und erzählte die ganze Geschichte von vorn an und noch viel weitläufiger, als sie am Abend vorher alles dem Stineli erzählt hatte. Und wie sie zu Ende war, da hatten die drei alles völlig begriffen, und bei allen dreien ging ein unbeschreiblicher Jubel los, denn da war gar kein Hindernis mehr, daß Rico auf der Stelle in sein Haus einziehe und es nie wieder verlasse.
Mitten aus dem Jubel heraus aber sagte Rico:
»Weil doch alles so ist, Frau Menotti, so muß ja nun gar nichts anders werden in dem Hause; ich komme nun auch und bin daheim hier, und wir bleiben so zusammen, und Ihr seid unsere Mutter.«
»O Rico, daß du es bist, daß du es bist! Wie hat doch der liebe Gott das alles so schön herausgeführt! Daß ich es alles dir zu übergeben habe und doch dableiben kann mit dem besten Gewissen. Ich will dir auch eine Mutter sein, Rico, sieh, du bist mir ja auch lange schon lieb wie ein eigenes Kind. Jetzt mußt du mich auch Mutter nennen, und das Stineli auch, und wir sind die glücklichste Haushaltung in ganz Peschiera.«
»Jetzt müssen wir unser Lied fertig singen«, rief der Silvio, dem es so ums Singen und Jauchzen war, daß er einen Ausweg haben mußte, und Rico und Stineli begannen noch einmal den Gesang in der größten Fröhlichkeit, denn es war ihnen nicht minder wohl ums Herz. Als sie aber damit fertig waren, sagte Stineli:
»Nun möchte ich noch ein Lied mit dir singen, Rico; weißt du, was für eines?«
»Ja, ich weiß es«, antwortete Rico, »und ich will auch gern mithalten; wir wollen gleich beim Vers der Großmutter anfangen«, und er stimmte an und sang so schön und tief heraus, wie er noch gar nie gesungen hatte, und Stineli sang mit seinem ganzen Herzen dazu:
»Er hat noch niemals was versehn In seinem Regiment,Und was er tut und läßt geschehn,Das nimmt ein gutes End’.
Ei nun, so laß ihn ferner tun Und red ihm nicht darein,So wirst du hier im Frieden ruhnUnd ewig fröhlich sein.«
Aber nach Riva ging der Rico nicht an dem Tage. Die Mutter Menotti hatte ihm geraten, gleich hinzugehen und der Wirtin seine veränderten Verhältnisse mitzuteilen, einen Geiger nach Riva zu beordern und gleich heute noch in sein Haus einzuziehen. Dieser Vorschlag gefiel dem Rico, und er eilte gleich fort. Die Wirtin hörte ihm mit der größten Verwunderung zu, als er ihr seine Mitteilungen machte; als er fertig war, rief sie ihren Mann herbei und bezeugte eine laute Freude und wünschte dem Rico allen Segen in sein Haus, und es kam ihr recht von Herzen. Sie verlor ihn ungern, aber sie hatte schon
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