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Heidi und andere klassische Kindergeschichten

Heidi und andere klassische Kindergeschichten

Titel: Heidi und andere klassische Kindergeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Spyri
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Heimatloser, und so wird es immer sein; darum laß mich nur gehen!«
    »Nein, nein, so lass’ ich dich nicht gehen; Rico, wo gehst du jetzt hin?«
    »An den See«, sagte Rico und ging der Brücke zu. Stineli ging mit. Als sie an der Halde standen, hörten sie unten die leisen Wellen flüstern und lauschten eine Weile. Dann sagte Rico:
    »Siehst du, Stineli, wenn du nicht da wärst, so ginge ich gleich fort, weit fort, aber ich wüßte auch nicht wohin. Ich muß doch immer ein Heimatloser sein und mein ganzes Leben lang so in Wirtshäusern geigen, wo sie lärmen, wie wenn sie von Sinnen wären, und in einer Kammer schlafen, wo ich lieber nicht mehr hineinginge; und du gehörst nun zu ihnen in das schöne Haus, und ich gehöre nirgends hin. Und siehst du, wenn ich da hinabsehe, so denke ich: hätte mich doch die Mutter hier hineingeworfen, ehe sie sterben mußte, so wäre ich kein Heimatloser geworden.«
    Stineli hatte mit Kummer im Herzen dem Rico zugehört; aber wie er diese letzten Worte sagte, da bekam es einen großen Schrecken und rief aus: »O Rico, so etwas darfst du gar nicht sagen. Du hast gewiß lange dein Unser-Vater nicht mehr gebetet, darum sind dir diese bösen Gedanken gekommen.«
    »Nein, ich habe es nicht mehr gebetet, ich kann es nicht mehr.«
    Das war dem Stineli ein erschreckliches Wort.
    »O, wenn das die Großmutter wüßte, Rico«, rief es jammernd aus, »sie müßte noch einen rechten Kummer für dich ausstehen. Weißt du, wie sie gesagt hat: ›Wer sein Unser-Vater vergißt, dem geht es schlecht!‹ O komm, Rico, du mußt es wieder lernen, ich will dich’s gleich lehren. Du kannst es bald wieder.«
    Und Stineli fing an und sagte mit warmer Teilnahme seines Herzens zweimal hintereinander dem Rico das Unser-Vater vor. Wie es nun so tief beteiligt den Wortenfolgte, so bemerkte Stineli, daß da gerade für den Rico viel Trostreiches darin vorkam, und wie es zu Ende war, sagte es:
    »Siehst du, Rico, weil doch dem lieben Gott das ganze Reich gehört, so kann er dir schon noch eine Heimat finden, und ihm gehört auch alle Kraft, daß er sie dir geben kann.«
    »Jetzt kannst du sehen, Stineli«, entgegnete Rico, »wenn der liebe Gott eine Heimat in seinem Reich für mich hätte und auch die Kraft hat, daß er mir sie geben könnte, so
will
er nicht.«
    »Ja, aber du mußt auch etwas bedenken«, fuhr Stineli fort, »der liebe Gott kann auch bei sich selbst sagen: ›Wenn der Rico etwas von mir will, so kann er auch einmal beten und kann mir’s sagen.‹«
    Dagegen wußte Rico nichts mehr einzuwenden. Er schwieg eine kleine Weile, dann sagte er:
    »Sag noch einmal das Unser-Vater, ich will’s wieder lernen.«
    Stineli sagte es noch einmal, dann konnte es der Rico wieder und hatte sich’s recht eingeprägt. Nun gingen sie friedlich heim, jedes auf seine Seite, und Rico mußte noch immer an das Reich und die Kraft denken.
    An dem Abend aber, wie er in seiner stillen Kammer war, betete er von Herzen demütig, denn er fühlte, daß er im Unrecht war, zu denken, der liebe Gott sollte ihm geben, was ihm mangelte, und er hatte ihn ja gar nie darum gebeten.
    Stineli trat gedankenvoll in den Garten ein. Es erwog bei sich selbst, ob es über alles mit der Frau Menotti reden wollte; vielleicht könnte sie für den Rico eine andere Beschäftigung finden, als dies Geigen zum Tanz in den Wirtshäusern, das ihm so zuwider war. Aber der Gedanke, die Frau Menotti mit seinen Angelegenheiten zu beschäftigen, verging ihm, als es in die Stube eingetreten war. Silvio lag glühendrot auf seinem Kissen und atmete heftig und ungleich, und am Bette saß die Mutter und weinte ganz kläglich. Silvio hatte einmal wieder einen seiner Anfälle und große Schmerzen gehabt, und ein wenig Zorn, daß das Stineli fort war, mochte das Fieber noch vermehrt haben. Die Mutter war so niedergeschlagen, wie Stineli sie noch nie gesehen hatte. Als sie sich endlich ein wenig ermuntern konnte, sagte sie:
    »Komm, Stineli, setz dich da neben mich, ich möchte dir etwas sagen. Sieh, es liegt mir etwas so schwer auf dem Herzen, daß ich manchmal meine, ich könne es fast nicht mehr tragen. Du bist freilich jung, aber du bist ein vernünftiges Mädchen und hast schon viel gesehen, und ich meine, es würde mir schon leichter werden, wenn ich mit dir darüber reden könnte. Du siehst ja, wie es mit dem Silvio ist, mit meinem einzigen Söhnlein. Nun habe ich aber nicht nur das Leid seiner Krankheit, die ja nie heilen kann, sondern ich muß oft bei

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