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Heidi und andere klassische Kindergeschichten

Heidi und andere klassische Kindergeschichten

Titel: Heidi und andere klassische Kindergeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Spyri
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war; wohl zehn Minuten lang konnte man da auf dem Schlitten sitzen bleiben, ohne abzusteigen; denn war man vom Hause des Obersten an bei diesem ersten, steilen Absatz einmal recht in den Zug gekommen, so gingen die Schlitten vorwärts ohne Nachhilfe bis hinunter auf die Aarestraße. Diese unvergleichliche Schlittenbahn machte denn auch das Lebensglück einer großen Schar von Kindern aus, die alle, sobald nur die alte Schulstubentür sich öffnete, sich herausstürzten, ihre Schlitten vom Haufen rissen, den sie im Vorhof bildeten, und mit Windeseile dem Schlittweg zurannten, wo die Stunden verflogen, man wußte nicht wie, denn unten am Berge war man immer im Augenblick, und beim Heraufsteigen dachte man so eifrig ans nächste Hinunterfahren, daß es unmerklich schnell getan war. So brach immer zum großen Schrecken der Kinder die Nacht herein, lang ehe sie erwartet war, denn dies war die Zeit, da fast alle nach Hause gehen mußten. Da folgte dann gewöhnlich noch ein ziemlich stürmisches Ende, denn da wollte man schnell noch einmal fahren und dann noch einmal und dann nur noch ein einziges Mal, und so mußte dann alles noch in größter Eile zugehen, das Aufsitzen und das Abfahren und wieder die Rückkehr den Berg hinauf. Da war auch ein Gesetz errichtet worden, daß keiner sollte hinunterfahren, während die anderen hinaufstiegen, sondern hintereinander sollten alle abfahren und miteinander alle zurückkehren, damit kein Gedränge und Schlittenverwickelungen entstehen könnten. Manchmal aber gab es doch allerlei ungesetzliche Verwirrungen, besonders auf diesen drangvollen Schlußfahrten, da dann keiner zuletzt sein und etwa noch zu kurz kommen wollte. So war es auch an einem hellen Januarabend, da vor Kälte die Schlittenbahn laut knisterte unter den Füßen der Kinder und der Schnee nebenan auf den Feldern so hart gefroren war, daß man hätte darauf fahren können wie auf einer festen Straße. Die Kinder aber waren alle glühend rot und heiß dazu, denn eben waren sie im angestrengten Lauf den ganzen Berg heraufgeeilt, ihre Schlitten nachziehend und sie nun stracks umwendend und sich darauf stürzend, denn es hatte Eile; drüben stand schon hell der Mond am Himmel und die Betglocke hatte auch schon geläutet. Die Buben hatten aber alle gerufen: »Noch einmal! Noch einmal!« Und die Mädchen waren einverstanden. Aber beim Aufsitzen gab es eine Verwirrung und einen großen Lärm: drei Buben wollten durchaus auf demselben Platze mit ihren Schlitten stehen, und keiner wollte auch nur einen Zoll zurückweichen und später abfahren. So drückten sie einander auf die Seite hin, und der breite Chäppi wurde von den beiden anderen so gegen den Rand des Weges hin gestoßen, daß er ganz in den Schnee hineinsank mit seinem schweren Keßlerschlitten und fühlte, daß er unter ihm stecken blieb. Eine große Wut ergriff ihn beim Gedanken, daß die anderen nun abfahren möchten; er schaute um sich. Da fiel sein Blick auf ein kleines, schmales Mädchen, das neben ihm im Schnee stand; es war ganz bleich und hielt beide Arme in seine Schürze gewickelt, um wärmer zu haben, aber es zitterte doch vor Frost an seinem ganzen dünnen Körperchen. Das schien dem Chäppi ein passender Gegenstand zu sein, seine Wut daran auszulassen.
    »Kannst du einem nicht aus dem Wege gehen, du lumpiges Ding du? du brauchst nicht hier zu stehen, du hast ja nicht einmal einen Schlitten. Wart nur, ich will dir schon aus dem Wege helfen.« Damit stieß der Chäppi seinen Stiefel in den Schnee hinein, um dem Kinde eine Schneewolke entgegenzuwerfen. Es floh zurück, so daß es bis an die Kniee in den Schnee hineinsank, und sagte schüchtern: »Ich wollte nur zusehen!« Der Chäppi stieß eben seinen Stiefel noch einmal in den Schnee hinein, als ihn von hinten eine so erschütternde Ohrfeige traf, daß er fast vom Schlitten herunterfuhr. »Wart du!« rief er außer sich vor Erbitterung, denn sein Ohr sauste, wie es noch kaum je gesaust hatte, und mit geballter Faust kehrte er sich um, seinen Feind zu treffen. Da stand einer hinter ihm, der hatte eben seinen Schlitten zurechtgestellt zum Abfahren, und schaute nun ganz ruhig auf den Chäppi nieder und sagte: »Probier’s!« Es war Chäppis Klassengenosse, der elfjährige Otto Ritter, der öfter mit dem Chäppi kleine Verschiedenheiten auszugleichen hatte. Otto war ein schlanker, aufgeschossener Junge, lange nicht so breit wie der Chäppi; aber dieser hatte schon mehr als einmal erfahren, daß Otto eine

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