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Heidi und andere klassische Kindergeschichten

Heidi und andere klassische Kindergeschichten

Titel: Heidi und andere klassische Kindergeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Spyri
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mir selbst sagen: es ist vielleicht eine Strafe von Gott, weil wir unrechtes Gut behalten haben und genießen, wenn wir es schon nicht an uns ziehen und behalten wollten. Ich will dir’s aber von Anfang an erzählen.
    »Als wir uns verheirateten, der Menotti und ich – er hatte mich von Riva herübergeholt, wo mein Vater noch ist –, da hatte Menotti hier einen guten Freund, der wollte eben fort, weil ihm das Land verleidet war, denn er hatte seine Frau verloren. Er hatte ein Häuschen und einen großen Acker und Feld, nicht besonders gutes Land, aber eine große Strecke. Da wollte er, daß mein Mann alles übernehme, und sagte, das Land trage ja nicht so viel, er solle es ihm in Ordnung halten und das Haus dazu, bis er wiederkomme in ein paar Jahren. So machten es die Freunde aus, und sie hielten viel voneinander und machten nichts aus wegen Zinsen. Mein Mann sagte: ›Du mußt deine Sache recht haben, wenn du wiederkommst‹, denn er wollte alles gut verwerten und verstand sich auf den Landbau, und sein Freund wußte es wohl und überließ ihm alles. Aber gleich ein Jahr darauf wurde die Eisenbahn gebaut, das Häuschen mußte weg mit dem Garten, und der Acker wurde gebraucht, der Schienenweg geht darüber. So löste mein Mann viel mehr Geld, als jenes wert war, und kaufte hier weiter unten gutes Land und den Garten und baute das Haus, alles aus dem Geld, und das Land trug mehr als das Doppelte ein hier unten, so daß wir die reichsten Ernten hatten. Ich sagte aber manchmal zu meinem Mann: ›Es gehört uns doch nicht, und wir leben im Überfluß aus dem Gut eines anderen; wenn wir nur wüßten, wo er wäre!‹ Aber mein Mann beruhigte mich und sagte: ›Ich halte ihm alles in Ordnung, und wenn er kommt, ist alles sein, und vom Gewinn, den ich beiseite gelegt, muß er auch seinen Teil haben.‹
    »Dann bekamen wir den Silvio, und wie ich entdeckte, daß das Büblein elend war, da mußte ich mehr und mehr zu meinem Mann sagen: ›Wir leben von unrechtem Gut, es ist eine Strafe über uns.‹ Und manchmal war es mir so schwer, daß ich fast lieber arm gewesen wäre und ohne Obdach. Aber mein Mann tröstete mich wieder und sagte: ›Du wirst sehen, wie er mit mir zufrieden sein wird, wenn er kommt.‹ Aber er kam nie. Da starb mein Mann schon vor vier Jahren; ach, was habe ich seitdem ausgestanden und muß immer denken: wie kann ich nur dem unrechten Gut abkommen ohne Unrecht, denn ich sollte es doch in guter Ordnung halten, bis der Freund wiederkommt, und dann denk’ ich wieder: wenn er nun irgendwo im Elend wäre und ich lebe unterdessen so gut aus dem Seinigen und weiß nichts von ihm.«
    Stineli hatte ein großes Mitleid mit der Frau Menotti, denn es konnte sich so gut denken, wie es der Frau zumute war, die sich ein Unrecht vorwarf, das sie nicht ändern konnte. Und es tröstete die Frau Menotti und sagte ihr: wenn man ein Unrecht gar nicht wolle und es so gern gut machen möchte, dann dürfe man recht zuversichtlich den lieben Gott bitten, daß er helfe, denn er könne schon etwas Gutes machen aus dem, was wir verkehrt gemacht haben, und er wolle es auch tun, wenn es uns um das Verkehrte recht leid sei. Das wisse es alles von der Großmutter her, denn es habe sich auch einmal nicht mehr zu helfen gewußt und eine große Angst ausgestanden.
    Dann erzählte Stineli von dem See, den Rico immer im Sinn gehabt, und wie es schuld an seinem Fortlaufen gewesen sei und gefürchtet habe, er sei ums Leben gekommen. Und es sagte, es sei ihm dann auch ganz wohl geworden, wie es so gebetet und alles dem lieben Gott überlassen habe, und Frau Menotti müsse es nun auch so machen, dann werde es ihr ganz leicht werden ums Herz, denn sie könne dann immer fröhlich denken: »Jetzt hat der liebe Gott die Sache übernommen.« Die Frau Menotti wurde ganz fromm gestimmt von Stinelis Worten und sagte, sie wolle nun in Frieden zur Ruhe gehen, es habe ihr recht wohl gemacht mit seiner Zuversicht.
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Zwanzigstes Kapitel.
In der Heimat.
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    Als der goldene Sonntagmorgen über den Garten mit den roten Blumen leuchtete, trat Frau Menotti heraus und setzte sich auf die Rasenbank am Zaun. Sie schaute ringsum und hatte ihre eigenen Gedanken dabei. Hier die Oleanderblumen und die Lorbeerhecke dahinter, dort die vollen Feigenbäume und die goldenen Weinranken dazwischen, – da sagte sie leise für sich: »Gott weiß, ich wäre froh, wenn mir das Unrecht vom Gewissen genommen würde; aber so schön, wie es hier ist, würde ich’s

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