Heidi und andere klassische Kindergeschichten
und in der Nacht, wenn sie beide schlafen, ist es mir manchmal so angst und bang, es falle alles über uns zusammen und schlage uns alle drei tot; ach, und da ist kein Mensch, der etwas ausbessern könnte an der Hütte, der Peter versteht’s nicht.”
“Aber warum kannst du denn nicht sehen, wie der Laden tut, Großmutter? Sieh jetzt wieder, dort, gerade dort.” Und Heidi zeigte die Stelle deutlich mit dem Finger.
“Ach Kind, ich kann ja gar nichts sehen, gar nichts, nicht nur den
Laden nicht”, klagte die Großmutter.
“Aber wenn ich hinausgehe und den Laden ganz aufmache, dass es recht hell wird, kannst du dann sehen, Großmutter?”
“Nein, nein, auch dann nicht, es kann mir niemand mehr hell machen.”
“Aber wenn du hinausgehst in den ganz weißen Schnee, dann wird es dir gewiss hell; komm nur mit mir, Großmutter, ich will dir’s zeigen.” Heidi nahm die Großmutter bei der Hand und wollte sie fortziehen, denn es fing an, ihm ganz ängstlich zumute zu werden, dass es ihr nirgends hell wurde.
“Lass mich nur sitzen, du gutes Kind; es bleibt doch dunkel bei mir, auch im Schnee und in der Helle, sie dringt nicht mehr in meine Augen.”
“Aber dann doch im Sommer, Großmutter”, sagte Heidi, immer ängstlicher nach einem guten Ausweg suchend; “weißt, wenn dann wieder die Sonne ganz heiß herunterbrennt und dann ‘gute Nacht’ sagt und die Berge alle feuerrot schimmern und alle gelben Blümlein glitzern, dann wird es dir wieder schön hell?”
“Ach, Kind, ich kann sie nie mehr sehen, die feurigen Berge und die goldenen Blümlein droben, es wird mir nie mehr hell auf Erden, nie mehr.”
Jetzt brach Heidi in lautes Weinen aus. Voller Jammer schluchzte es fortwährend: “Wer kann dir denn wieder hell machen? Kann es niemand? Kann es gar niemand?”
Die Großmutter suchte nun das Kind zu trösten, aber es gelang ihr nicht so bald. Heidi weinte fast nie; wenn es aber einmal anfing, dann konnte es auch fast nicht mehr aus der Betrübnis herauskommen. Die Großmutter hatte schon allerhand probiert, um das Kind zu beschwichtigen, denn es ging ihr zu Herzen, dass es so jämmerlich schluchzen musste. Jetzt sagte sie: “Komm, du gutes Heidi, komm hier heran, ich will dir etwas sagen. Siehst du, wenn man nichts sehen kann, dann hört man so gern ein freundliches Wort, und ich höre es gern, wenn du redest; komm, setz dich da nahe zu mir und erzähl mir etwas, was du machst da droben und was der Großvater macht, ich habe ihn früher gut gekannt; aber jetzt hab ich seit manchem Jahr nichts mehr gehört von ihm als durch den Peter, aber der sagt nicht viel.”
Jetzt kam dem Heidi ein neuer Gedanke; es wischte rasch seine Tränen weg und sagte tröstlich: “Wart nur, Großmutter, ich will alles dem Großvater sagen, er macht dir schon wieder hell und macht, dass die Hütte nicht zusammenfällt, er kann alles wieder in Ordnung machen.”
Die Großmutter schwieg stille, und nun fing Heidi an, ihr mit großer Lebendigkeit zu erzählen von seinem Leben mit dem Großvater und von den Tagen auf der Weide und von dem jetzigen Winterleben mit dem Großvater, was er alles aus Holz machen könne, Bänke und Stühle und schöne Krippen, wo man für das Schwänli und Bärli das Heu hineinlegen könnte, und einen neuen großen Wassertrog zum Baden im Sommer, und ein neues Milchschüsselchen und Löffel, und Heidi wurde immer eifriger im Beschreiben all der schönen Sachen, die so auf einmal aus einem Stück Holz herauskommen, und wie es dann neben dem Großvater stehe und ihm zuschaue und wie es das alles auch einmal machen wolle. Die Großmutter hörte mit großer Aufmerksamkeit zu, und von Zeit zu Zeit sagte sie dazwischen: “Hörst du’s auch, Brigitte? Hörst du, was es vom Öhi sagt?”
Mit einem Mal wurde die Erzählung unterbrochen durch ein großes Gepolter an der Tür, und herein stampfte der Peter, blieb aber sogleich stille stehen und sperrte seine runden Augen ganz erstaunlich weit auf, als er das Heidi erblickte, und schnitt die allerfreundlichste Grimasse, als es ihm sogleich zurief: “Guten Abend, Peter!”
“Ist denn das möglich, dass der schon aus der Schule kommt”, rief die Großmutter ganz verwundert aus. “So geschwind ist mir seit manchem Jahr kein Nachmittag vergangen! Guten Abend, Peterli, wie geht es mit dem Lesen?”
“Gleich”, gab der Peter zur Antwort.
“So, so”, sagte die Großmutter ein wenig seufzend, “ich habe gedacht, es gäbe vielleicht eine Änderung auf
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