Heimat Mars: Roman (German Edition)
stellte uns ihrem langjährigen Lebensgefährten, Charles Franklin, vor, mit dem sie zusammenlebt. Franklin begrüßte uns mit freundlicher, aber abwesender Miene. Er war groß und sehr dünn. Eine dichte weiße Haarmähne umrahmte ein Gesicht, das von merkwürdigen Falten gezeichnet war, es waren weder Lachfalten noch Kummerfalten. Franklin sprach wenig, wanderte im Haus umher und verrichtete verschiedene kleine Tätigkeiten, die wohl gar keinem rechten Zweck dienten, ihm aber Spaß machten. Er lächelte vor sich hin, manchmal lachte er auch in sich hinein, was mir unheimlich war. Ich konnte diesen seltsamen, verschlossenen Menschen gar nicht mit dem Charles Franklin in Verbindung bringen, der in meinem Geschichtsunterricht eine so herausragende Rolle gespielt hatte. »Ist er nicht ganz richtig im Kopf?«, fragte ich meine Mutter. Mein Vater gab mir einen Rippenstoß, beugte sich zu mir herunter und sagte: »Das ist Charles Franklin. Und jetzt benimm dich!«
Ich starrte den Mann mit wachsendem Unbehagen an. Er sah mich an, nickte, als hätten wir völliges Einverständnis erzielt, und nahm neben Casseia Majumdar Platz.
In ihrer direkten Art fragte Mutter Casseia Majumdar ohne Umschweife, wie es Franklin in letzter Zeit gegangen sei.
»So gut wie eh und je«, antwortete sie. »Beachte ihn gar nicht«, sagte sie zu mir. »Er amüsiert sich auf seine ganz eigene Art, manchmal ist er sehr lebhaft. Aber er denkt nicht auf dieselbe Weise wie du und ich.«
Mit Franklins Hilfe bereitete sie das Abendessen für uns vor. Ich erinnere mich daran, dass sie zu mir sagte: »Marsianisches Gemüse schmeckt besser, wenn es von menschlicher Hand zubereitet wird. Das wirst du sicher auch feststellen.«
Wir nahmen an ihrem Tisch Platz. Er war aus einem einzigen getrockneten Aquäduktblatt hergestellt und stand nahe bei einem Fenster, das Ausblick auf ein weites, rostbraunes Tal bot. Wir aßen Brückenfrüchte. Ich probierte eine solche Delikatesse zum ersten Mal, auf dem freien Markt war sie unerschwinglich teuer. Majumdar erzählte uns begeistert von den Mutterkapseln. Sie sprach auch davon, dass die Kapsel uns in den letzten zwanzig Jahren endlich weitere ihrer so unterschiedlichen Nachkommen vorgeführt habe. Manche dieser Nachkommen wuchsen draußen im Garten auf und wuselten dort herum: Rädertierschafe, Rohrwürmer, Staubhunde.
Franklin hörte der Unterhaltung mit erfreuter Miene zu und trug dann selbst dazu bei: Aus einer Hemdtasche voller Papierschnipsel und Stifte zog er einen Zeichenstab und benutzte ihn dazu, mit dünnen orangefarbenen Linien Mutter Ecos-Organismen in die Luft zu malen. Von diesen Organismen – Gleitbienen, Sandbällchen und Treibknäuel – wussten wir nur aufgrund ihrer Fossilien. Dann skizzierte er mit ähnlicher Begeisterung eine Reihe miteinander verschlungener Schnörkel, die überhaupt keine klar umrissene Form hatten.
»Manchmal verstehe ich, worauf Charles hinauswill«, sagte Majumdar und zeichnete die Luftschnörkel mit dem Finger nach. »Das sind Spuren genetischer Vielfalt, glaube ich. Die Mütter entwickeln zur Zeit nur die anspruchslosesten Organismen. Anscheinend halten sie die Nachkommen der höchsten Entwicklungsstufe noch zurück – für den Fall, dass der Mars wieder in sein altes, totes Stadium zurückfällt. Höchst faszinierend, Charles.«
Franklin lächelte und verstaute den Zeichenstab wieder in seiner Tasche.
Während des Essens erzählte meine Mutter Majumdar, dass der Rat der Gouverneure beschlossen hatte, ein Denkmal für sie, für die erste Marspräsidentin Ti Sandra Erzul und die Olympier zu errichten. Es sollte aus einer Skulpturengruppe aus Bronze und Stahl und einer Gedenktafel bestehen.
Casseia wirkte erst traurig, dann ärgerlich: »Ich will keine Anerkennung«, sagte sie. »Sie haben mir die Gärten überlassen, das reicht. Ich mache keinem Menschen mehr irgendwelche Vorwürfe.«
»Die haben Ihnen doch zehn Jahre Ihrer Freiheit gestohlen«, wandte Mutter ein. »Wir schulden Ihnen noch viel mehr!«
»Wir haben diese Menschen aus allem, was sie kannten, herausgeholt und konnten sie nicht einmal um ihr Einverständnis bitten. Ich habe jede Abstimmung darüber abgelehnt.«
»Heute sehen wir diese Dinge anders«, erklärte mein Vater.
»Ich brauche kein Denkmal«, wiederholte Majumdar nachdrücklich. »Mir wäre es wirklich lieber, ihr Präsidenten würdet damit aufhören, hierher zu pilgern und euch zu entschuldigen. Wissen Sie, was ich wirklich gern täte? Ich
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