Heimat Mars: Roman (German Edition)
Gemeinden von vertrauenswürdigen Wissenschaftlern und Gelehrten bestätigt wurden –, wich die Skepsis dem Schock. Und aus dem Schock wurde Empörung.
Die Beweise dessen, dass die Erde den Mars angegriffen hatte, spielten im Alltag kaum eine Rolle. Die zerstörten Siedlungen hatten natürlich keine Stimme mehr, aber die zernarbten Landstriche, die Abermillionen Hektar verbrannter Erde schienen einen so drastischen Schritt wie die Verlegung des ganzen Mars für sie nicht zu rechtfertigen.
Der Schock wurde beherrschend. Die Familien äußerten sich beunruhigt und wütend über die neue Situation, und diese Äußerungen wurden über Netz ausgestrahlt. Untersuchungsausschüsse traten zusammen und stritten miteinander herum, nach und nach etablierten sich diese Ausschüsse als eine Art ›ad hoc‹-Rechtssystem, das Nachforschungen anstellte.
Das, was zuerst ›die Flucht‹ genannt wurde, bezeichnete man im Laufe der Zeit als ›den Rückzug‹, dann als ›die Reise‹ und schließlich als ›die Schande‹. Manche vertraten die Ansicht, wir hätten am alten Ort bleiben und unsere neue Macht dazu nutzen können, es der Erde mit gleicher Münze heimzuzahlen. Das Leben einiger Milliarden Erdenbürger wäre doch bestimmt kein zu hoher Preis für die Unabhängigkeit des Mars und seinen Verbleib im Sonnensystem gewesen …
Zu diesem ganzen Elend trug Heimweh der schlimmsten Art noch bei.
Die Republik wurde trotz der heftigsten Gegenbemühungen der Restregierung rasch durch etwas ersetzt, das schlimmer als Anarchie war: die emotionsgeladene Herrschaft des Pöbels, der von ungebildeten, aber geschickten Scharfmachern angeführt wurde.
Der Mars selbst stachelte den Pöbel noch an. Der Planet fand seine Stimme und schrie seinen Schmerz heraus.
Das erste große Erdbeben erschütterte das Gebiet südlich von Ascraeus. Drei Siedlungen stürzten ein, eine brach auseinander, als sich zwischen Pavonis und Ascraeus ein Graben auftat. Dieser Graben – der in späteren Jahren der Neue Tharsis-Spalt genannt wurde – dehnte sich innerhalb von vier Wochen von wenigen Metern auf Tausende von Metern aus. Das Echo dieser neuen Ausdehnung der Planetenkruste hallte über den ganzen Mars, als habe jemand einen Gong angeschlagen.
Innerhalb von Auftakt versuchten die Areologen, angeführt von dem hektischen und einfallsreichen Faoud Abdi, ohne Hilfe von Satelliten den Kurs der neuen tektonischen Ordnung des Mars zu bestimmen. Sie stützten sich dabei lediglich auf Berichte, die sie über das externe Netz empfingen. Aber das externe Netz war selbst nur noch teilweise funktionsfähig. Viele Verbindungen fielen aus, wurden repariert, fielen erneut aus. Unsere Nano-Reserven wurden über das zulässige Maß hinaus beansprucht.
Von Kaibab aus flogen Mannschaften von Freiwilligen mit Shuttles das Gebiet von Marineris ab, kartierten die Veränderungen, nahmen Treibstoff und Vorräte bei den unversehrten Siedlungen auf, die zur Zusammenarbeit bereit waren, und drangen weiter, bis über den Tharsis-Buckel, ins Land vor. Höhenveränderungen von einigen Dutzend Metern waren keine Seltenheit. An manchen Orten wurden Veränderungen bis zu hundert Metern registriert.
Nach manchen Prognosen würde der Tharsis-Buckel innerhalb von hundert Jahren – alten Marsjahren – zusammenschrumpfen.
Der Mars umlief die neue Sonne in einem Zeitraum von dreihundertundzwei Tagen.
Auf der anderen Seite des Mars tauchten schmale, gerade verlaufende Spalten auf, die Tausende von Kilometern lang waren und die Form von großen Bögen hatten. Sie sahen wie zu Stein erstarrte Wellen aus. Weitere Siedlungen mussten feststellen, dass ihre Tunnel einzustürzen drohten, und wurden geräumt.
Wachslers Gebäudeschutzpläne wurden in die Tat umgesetzt, aber oft zu spät. Und selbstverständlich machte man mich dafür verantwortlich. Dass ich den Mars, ohne angemessene Vorkehrungen zu treffen, in eine solche Zwangslage gebracht hatte, wurde als schreckliche Untat, ja als Verbrechen angesehen.
Auf meine Anweisung hin demontierte die Restgruppe der Olympier die Tweaker und brachte sie von Kaibab an einen anderen, sicheren Lagerort. Manche der Sendungen wurden von Gruppierungen beschlagnahmt, die Anspruch darauf erhoben. Glücklicherweise konnte keine einzelne Gruppe irgend etwas mit dem anfangen, was sie besaß. Keiner verstand etwas davon. Trotz aller Einschüchterungsversuche schwiegen sich die Olympier auch weiterhin darüber aus.
Manche wurden ins Gefängnis
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