Heimat Mars: Roman (German Edition)
erzählte, wusste ich, was es war. Mit der Zeit würde die Frucht riesengroß werden und eine von zahlreichen Aquäduktquellen darstellen. Es schien eine Ewigkeit her zu sein, dass Charles mich zu einer solchen verborgenen Fossilienkugel geführt hatte.
Ich nahm mir vor, ihm diese Kugel eines Tages, wenn er wieder soweit war, zu zeigen.
Wir verbrachten mehrere Stunden im Freien. Leichter Schneefall setzte ein. Die braunen Sprösslinge erfüllten mich mit Freude und Hochgefühl. Ich war von ihnen so begeistert wie ein kleines Mädchen und versuchte, es für Ilya mitzuerleben.
Als wir zu den unversehrten Tunneln zurückkehrten, hörten wir von besorgten Laborhelfern, dass ein halbes Dutzend Shuttles aus Amazonis angekommen war. Dandy wusste intuitiv, was los war. Er brachte mich rasch zu unserem eigenen Shuttle. Aber es war zu spät. Wir stießen auf einen undurchdringlichen Pulk bewaffneter Bürger.
Die Bürgerwehr scherte sich überhaupt nicht um Schowinskis Protest. Jetzt war es soweit: Sie verhafteten mich und beschuldigten mich zahlreicher Verbrechen, der schwerwiegendste Vorwurf war der des Landesverrats. Dandy und Leander wurden wie Schlachtlämmern Hände und Füße zusammengebunden. Der erbitterte Mob, alles Männer, ließ mir eine nicht ganz so erniedrigende Behandlung zuteil werden: Meine Hände wurden mit einer Klebeschnur gefesselt.
Das hatte ich schon einmal erlebt.
So starb die Bundesrepublik Mars.
Ich habe die Grenzen meiner Erzählung für mich abgesteckt und will mich daran halten. Alles, was ich geschrieben habe, hat mit der ›Verlegung‹ des Mars zu tun, mit den Ursachen und Umständen dieses Schrittes und meiner eigenen Rolle dabei. Was danach kam, würde ich am liebsten vergessen.
Um das Schreiben im Gefängnis wird viel zuviel Getue gemacht.
Ich bitte nicht um Vergebung, nicht einmal um ein gerechtes Urteil. In bestimmter Hinsicht habe ich erhalten, was ich verdient habe. Ich bitte aber darum, dass man Charles Franklin und alle Olympier, die man in Haft hält, milde behandeln möge.
Nur ihnen ist es zu verdanken, dass der Mars überhaupt noch existiert und Regierungen in spe immer noch kämpfen, herumstreiten und Beschuldigungen erheben können.
Wenn alle Urteile gesprochen sind und meine Strafe feststeht, werden mir diese Dinge vor Augen stehen: ein Pflanzenstamm. Ein Blatt. Eine grüne, glänzende Kugel. Es werden Kinder zur Welt kommen, die nichts von der alten Sonne wissen. Der neue, strahlendhelle Himmel wird ihnen Heimat sein – wird euch Heimat sein, die ihr, wie ich hoffe und bete, diese Geschichte lesen werdet.
Ich sehe euch, wie ihr in hundert oder tausend Jahren im Schatten der Brücken des Alten Mars spielt und eure Haut der Luft aussetzt. Für euch werden weder Zeit noch Entfernungen oder Grenzen existieren. Nur das, was ihr selbst wollt.
Macht’s besser als eure Vorfahren. Ihr werdet besser sein müssen. Die Macht liegt in euren Händen.
NACHWORT
von Dr. Dane Johansen
Ich hatte die Ehre, diese neue Ausgabe von Casseia Majumdars Erinnerungen herauszugeben. Auch heute noch provozieren Majumdars Leben und Taten Auseinandersetzungen – man denke nur an den jüngsten Versuch von Befürwortern des alten Systems, allen Versionen von Heimat Mars ihre eigenen Anmerkungen und Kommentare überzustülpen. Dieser Versuch wurde vereitelt, aber er ist symptomatisch für den immer noch schwelenden Zorn vieler Marsianer.
Vor zwanzig Jahren habe ich Casseia Majumdar einmal in ihrem Garten besucht. Damals war sie nach der alten marsianischen Zeitrechnung fünfzig Jahre alt, ich nach der neuen Zeitrechnung zwölf. Meine Mutter war nach der Verfassung der neuen Republik gerade zur Präsidentin des Mars gewählt worden. Wie es bei den letzten Regierungen zur Tradition geworden war, machten meine Mutter, mein Vater und ich uns auf die Pilgerreise durch die Cyane Sulci zu Casseias Heimstatt.
Casseia Majumdar war eine aufrechte, stolze, leicht untersetzte Frau mit schwarzem Haar, das von grauen Strähnen durchschossen war und einem von tiefen Falten durchzogenen bräunlichen Gesicht. Unter dem Schutzanzug wirkten ihre Arme dünn, aber stark. Sie schritt rasch und mit jugendlichem Elan aus. Sie empfing uns in einem Schlepper, der einst ihrem Ehemann gehört hatte. Sie lächelte, schüttelte uns die Hände und lud uns in ihr Haus ein, das hoch oben am Rande des Cyane Sulci-Schutzgebiets steht. Drinnen legten wir unsere Schutzanzüge ab, duschten und machten es uns bequem.
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