Heimat Mensch - Was uns alle verbindet
genetisch. Jede und jeder Einzelne, unabhängig von irgendwelchen Eigenschaften! Das kann auch die Diskussionen um Menschenrechte und Medizinethik weiterbringen. Die Vorstellung der Verwandtschaft macht Verbundenheit und Einheit stark. Philosophisch gesehen mag das zirkulär klingen, aber es ist so einfach wie überzeugend: »Man ist Mensch, weil man von Menschen abstammt.«
Bei allem Kulturkampf und Kulturkrampf fragen sich heute viele, was die Menschheit ausmacht. Einer Antwort kommt man näher, wenn man die Einheit über Zusammenhänge bestimmt statt über einzelne Merkmale. Ein solches Konzept kann Vielfalt zulassen, ohne das Einigende aus dem Blick zu verlieren. Wer auf einzelne Eigenschaften starrt, landet entweder bei einer oberflächlichen Einheitlichkeit, bei einer unüberbrückbaren Fragmentierung oder beim Ethno-Kitsch. Die Familienmetapher öffnet uns die Augen für die Einheit in der Vielfalt. Das Bild der Familie zeigt uns, dass die Einheit nicht irgendwo »hinter« der Vielfalt liegt, sondern gerade in ihr.
Anhang
Abenteuer am Schreibtisch
Das Schreiben dieses Buchs war für mich ein Abenteuer. Ich musste lernen, mich kurz zu fassen, und den Text so formulieren, dass er für Nichtfachleute zugänglich und möglichst interessant ist. Eine echte Herausforderung für einen Wissenschaftler, der im akademischen Betrieb in Deutschland zu Hause ist.
Ich danke vor allem meinem Lektor Christian Weller. Er hat mich im besten Sinne professionell begleitet und viel Mühe und Kreativität in meine manchmal mäandrierenden Entwürfe gesteckt. Durch seine Ideen und Nachfragen habe ich jede Menge gelernt. Die gemeinsame Arbeit am Buch hat mir viel Freude bereitet. Mein zweiter Dank geht an den Publizisten Peter Felixberger, Chefredakteur des Online-Magazins ChangeX . Er hatte die Idee zu einem populärwissenschaftlichen Buch, in dem kulturelle Vielfalt und Universalien zusammengebracht und anhand von Beispielen konkret gemacht werden.
Ein sicheres Abenteuer gibt es nicht. Das wäre ein Widerspruch in sich. Abenteuer ohne Risiko gibt es nur im Fernreiseprospekt, nicht im wirklichen Leben. Das Abenteuer dieses Buchs besteht vor allem darin, dass es kontinentweit von der üblichen Wissenschaftsprosa entfernt ist. In wissenschaftlichen Büchern ist nicht nur jeder Satz dreimal so lang wie in diesem Text, sondern auch der Gesamtumfang. Ein weiteres Merkmal ist das Fachchinesisch. Dabei ist das Besondere von wissenschaftlichen Texten gar nicht so sehr das Vorkommen von Fachtermini. Die gibt es in jeder Expertengruppe, auch bei Schachspielern, in der Gothic-Szene oder im Angler-Journal . Viel auffallender sind die endlosen Formulierungen der Vorsicht. Jede halbwegs konkrete Aussage wird im nächsten Satz relativiert. Beispiele sind Mangelware oder werden ebenfalls schnell relativiert. Für mich als Wissenschaftler war es eine echte Herausforderung, nicht zu jeder wichtigen Aussage, die aus der Literatur übernommen ist, eine Quellenangabe zu liefern. Mein letztes ethnologisches Buch hat ein Literaturverzeichnis von über 50 Seiten!
Einfachheit und Kürze können aber sehr befreiend sein, nicht nur beim Schreiben, sondern auch für die Wissenschaft selbst. Wissenschaftler sehen immer das Risiko, komplexe Sachverhalte allzu stark zu vereinfachen. Diese Furcht ist ein Grund, warum es populäre Wissenschaft in Deutschland bei den Kollegen so schwer hat, ganz besonders in den Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften. Einfachheit ist aber auch ein Merkmal guter Forschung. Eine Darstellung, deren Komplexität der des Gegenstands 1:1 entspricht, bringt uns nicht weiter. Das wird heutzutage gerade in den Geistes- und Kulturwissenschaften gern vergessen. Auf wissenschaftlichen Kongressen und im Feuilleton scheint es alle Gegenstände nur noch im Plural zu geben: »Geschichten«, »Identitäten«, »Kulturen«. Ich habe bei ethnologischen Tagungen noch nie erlebt, dass ein Kollege widersprochen hätte, wenn ein Redner sagt: »In Wirklichkeit ist das alles sehr komplex.« Mehr als ein bequemer wissenschaftlicher Joker steckt meist nicht dahinter. Komplexitätsreduktion ist ein wichtiges Ziel jeder Wissenschaft, auch der Humanwissenschaft.
Analysen müssen reduzieren, sonst sind es keine Analysen, Erklärungen sollten sparsam sein, sonst erklären sie wenig. Sicher, es gibt es mindestens 100 Faktoren, die etwa das Zusammenleben im multikulturellen Deutschland bestimmen. Wissenschaftlich wichtig und auch praktisch relevant sind
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