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Heimkehr

Heimkehr

Titel: Heimkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Bach
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hast, dann hat er wahrscheinlich größere Ambitionen als die Eisdiele um die Ecke.«
    Ich nickte wortlos und erinnerte mich daran, wie es war, als ich er gewesen bin… Ich wollte über alles genau Bescheid wissen – ausgenommen Geschäftsleben, Politik und Medizin — Dinge, mit denen ich mich jetzt wohl oder übel auseinandersetzen mußte.
    Ich grübelte einen Moment lang—warum wollte ich gerade diese Themen ausklammern? Heute öden sie mich an, weil sie sich um gesellschaftliche Verpflichtungen drehen, und es gibt nichts Langweiligeres, als mit Leuten, die das eigentlich nicht wollen, einen Konsens finden zu müssen. Er fühlte wahrscheinlich das gleiche. Vielleicht hatten wir mehr Gemeinsamkeiten als unsere Vergangenheit und lagen unsere Wertmaßstäbe näher beieinander, als wir wußten? Wie hatte er zu der Person beigetragen, die ich heute war? Welche Werte hielt er hoch? Ich starrte auf den Teppich. Ein Neunjähriger mit Werten? Laß dich nicht von deinen Gedanken wegreißen, Richard!
    Leslie bemerkte, wie ich mehr und mehr in Gedanken versank, und wandte sich wieder ihrem Computer und ihrer Arbeit zu.
    Er möchte gern wissen, was ich weiß. Wissen zu erklären ist leicht, aber hinter den Einzelheiten stecken keine Gefühle, es gibt einfach nicht genug zu fühlen. Ich bezweifle, daß er das ändern kann, aber was soll falsch daran sein, wenn ich Wissen vermittle und er lernt? Nichts spricht dafür, daß es auch umgekehrt funktioniert.
    Leslie ließ ihre Blicke starr auf dem Monitor verweilen. »Und wo ist er jetzt?«
    »Mal sehen.« Ich schloß meine Augen. Nichts. Keine Bilder, kein Kind, das ich einst gewesen. Nichtssagende, leere Dunkelheit.
    »Liebling, klingt das jetzt sehr verrückt?« fragte ich Leslie nach einer Weile. »Er ist weg.«

12
     
    Als ich mich in dieser Nacht aufs Bett warf und die Augen schloß, war der erste Ort, den ich erblickte, die Zelle in dem dunklen Verließ.
    »Dickie!« rief ich in die Stille. »Es tut mir leid. Ich habe dich vergessen.«
    Die schwere Tür war offen. »Hallo, Dickie!«
    In der Zelle waren nur die Sitzbank, das Klappbett, der kalte Flammenwerfer. Jahrzehnte hatte er hier verbracht, weil ich nie meine Gefühle zugelassen habe, sondern sie immer hin- und herschob, während ihre Auslöser verblichen. Warum habe ich meine rationale Seite so stark betont? Warum mußte ich immer gleich so maßlos übertreiben? War ich mir meiner so unsicher?
    Heute war ich meiner sicher, dachte ich, und mußte die Ratio nicht mehr so überbetonen. Aber ich bin ein wenig spät dran, wenn ich jetzt erst meine menschliche Seite entdecke. Aber lieber ein wenig spät auftauen, als ewig ein gefühlskalter Eisklotz bleiben.
    » DICKIE !«
    Nur das Echo kam zurück.
    Er muß irgendwo in meinem Gemüt stecken, dachte ich. Dort gab es viele dunkle Plätze, wo er sich verstecken konnte.
    Warum wollte er nicht mit mir Zusammensein? Weil er auch all die Jahre allein überlebt hat? Und weil er genau weiß, daß man sich besser nicht seinem Gefängniswärter anvertraut?
    Auf dem Weg vom Flughafen nach Hause war er weggeschlüpft, nachdem ich aufgehört hatte, mit ihm zu reden. Als ich ihn nicht mehr wie ein menschliches Wesen behandelte, sondern wie eine Gemütsverwirrung, ist er verschwunden, und ich habe es noch nicht einmal bemerkt.
    Worauf habe ich mich da eingelassen, fragte ich mich. Muß ich denn alle paar Atemzüge mit diesem Kind sprechen, damit es nicht gleich wegrennt?
    Vielleicht sollte ich erst wieder mit ihm reden, wenn der schmale Weg zwischen uns von Dornen und Spinnweben befreit war. Vielleicht reichte es ja schon aus, daß er mir nun etwas bedeutete.
    » DICKIE !«
    Immer noch keine Antwort.
    In meinem Traum schwebte ich wie ein Hubschrauber dicht über dem Boden und suchte nach einem Muster der Verständigung. Ich sah schroffe Berghänge, die Felsen von Arizona in der Ferne, die in der Mittagssonne glänzten.
    Am Rande eines großen, ausgetrockneten Sees bekam ich wieder Boden unter die Füße, die Erde um mich herum war ausgetrocknet wie verwitterte Dachziegel, so weit das Auge blicken konnte.
    Weit entfernt von mir stand in dieser Mittagsglut eine schmächtige Gestalt.
    Die Entfernung war größer, als es zuerst den Anschein hatte, und während ich zu ihm hinüberlief, wurde die Landschaft immer häßlicher. Hatte er sie ausgesucht, oder war ich es gewesen?
    » DICKIE !«
    Er wandte sich mir zu, beobachtete mich, wie ich näherkam, aber er bewegte sich nicht und sprach kein

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