Heimkehr
dein Bruder ins Krankenhaus verschwand und nicht mehr zurückkehrte.«
»Kann sein. Meine Notizen von damals sind verschwunden.«
Sie starrte mich mit großen Augen an. »Du hast dir Notizen gemacht, als dein Bruder starb?«
»Nur ein Scherz«, erwiderte ich und lachte. »Ich habe nichts aufgeschrieben. Sein Tod ist so weit weg. Ist er wirklich gestorben?«
Sie blickte mich sehr ernst an. »Dickie erinnert sich noch daran, da bin ich sicher.«
»Ich bin mir nicht sicher, ob ich davon etwas wissen will. Ich versuche, meinen Frieden mit ihm zu schließen und mich dann Neuem zuzuwenden.«
»Und Dickie schließt du wieder ein?«
Ich legte mich ins Bett zurück, starrte lange Zeit auf die Maserung in der Holzdecke über mir, blickte auf die Verästelungen, die an manchen Stellen wie Spinnen aussahen. Nein, ich schließe niemanden ein.
»Leslie, was meinte er damit: Ich hätte dir helfen können?«
Sie dachte einen Moment nach. »Wenn du dich aufmachst, um zu fliegen, und nehmen wir mal an, es ist ein schöner Tag und du willst wirklich fliegen, nur so aus Spaß: Gehst du dann zum Flughafen und kaufst dir ein gewöhnliches Flugticket als Passagier in der hintersten Reihe des größten und schwersten stählernen Flugmonsters, das du finden kannst?«
Wohin um alles in der Welt wollte sie meine Gedanken lenken? »Natürlich nicht. Ich nehme meinen Gleitschirm und erstürme den Gipfel, oder ich rolle Daisy aus dem Hangar, und dann suche ich mir die schönste Stelle im Himmel aus und schwinge mich in die Lüfte, bis meine Seele in den Sonnenstrahlen zerschmilzt. Warum möchtest du das denn unbedingt wissen?«
Sie sah mich nachdenklich an. »Kannst du dich daran erinnern, wie du deine Probleme angegangen bist, als du noch nicht vor ihnen fliehen konntest?«
»Gibt es einen anderen Weg?« fragte ich zurück. »Das Triebwerk einschalten, Gashebel nach vorne, die Augen fest schließen und dann einfach weg.«
Sie schüttelte den Kopf. »Glaubst du nicht, daß Dickie mit ich hätte dir helfen können meinte, du solltest einen Weg finden, damit ihr beide Freunde werdet und daß du dann die Augen öffnen kannst?«
10
Als ich in Daisys Cockpit Platz nahm, war Dickie in meinen Gedanken bei mir, und ich hatte das Gefühl, wieder selbst ein Kind zu sein. Doch der Junge, der ich einmal gewesen, schien mir nicht mehr der Freund zu sein, den ich plötzlich wiedergewonnen hatte, sondern er wirkte nun eher wie ein gerade aus einer Falle befreiter wilder Waschbär. Als Dickie aber zum ersten Mal mit meinen Augen das Flugzeug erblickte, sah ich es mit seinen Augen, und ich hörte seine Stimme.
»Wow! Schau dir diese Zifferblätter und Knöpfe an! Was ist das da?«
Ich zeigte auf die Instrumententafel. »Der Höhenmesser«, erwiderte ich. »Siehst du das kleine Flugzeug dort? Das sind wir, und dieser künstliche Horizont ersetzt uns den natürlichen Horizont, damit wir wissen, wo wir uns befinden, wenn wir durch Wolken fliegen…«
»Und was ist das?«
»Das sind die Hebel für die Luftschraubenverstellung, einer für jedes Triebwerk. Beim Start schieben wir sie nach vorn, und wenn wir mit Reisegeschwindigkeit fliegen…«
Seine Neugierde war anscheinend kaum zu befriedigen: »Was ist das denn?«
»Dieses Gerät zeigt uns an, wo an stürmischen Tagen Blitze aufleuchten. Dadurch wissen wir, welche Gebiete wir meiden müssen.«
»Bitte laß mich ans Steuer.« Er zeigte auf die vielen
Hebel. »Können wir einen davon mal rauf- oder runterdrücken?«
Unwillkürlich mußte ich lächeln. Ich drückte einen Hebel herunter und dachte daran, wie mich als Kind Schalter an technischen Geräten fasziniert haben. Wenn man sie bewegte, konnte man etwas bewirken. Und freute sich.
»Und was bedeuten die Knöpfe?«
»Hier ist der Knopf für das Mikrophon. Da ist der Schalter für die Trimmung. Hier ist der Schalter für die Luftbremsen, und da wird der Autopilot abgeschaltet, dies hier ist die Flugwegkontrolle.«
Jetzt hatte er offenbar genug von der Theorie. »Wirf die Motoren an!« sagte er nur.
Ich stellte die Kraftstoffzufuhr auf maximalen Durchfluß.
Nach einer Weile die Zündung. »Darf ich das machen?«
Wie fühlte sich das Kind in mir, das zum ersten Mal im Pilotensitz eines wirklichen Flugzeugs saß und bereits wußte, wie man die Triebwerke anläßt? Phantastisch!
Batterie-Hauptschalter an, Boost-Pumpe für das vordere Triebwerk an.
» VORDERE LUFTSCHRAUBE FREI !« rief ich. Kraftstoffpumpe an und… Heiliger Bimbam,
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