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Heimkehr

Heimkehr

Titel: Heimkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Bach
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verlangte, daß wir uns lieben mußten, dachte ich, aber ich hatte nicht gewußt, daß es zu solch knochenharten Verhandlungen zwischen uns kommen würde. Das würde so auf keinen Fall funktionieren.
    Besser, ich gab nach. »Dickie, du hast recht, und es tut mir leid. Ich schulde dir eine Million weitere Flüge, und ich schulde dir noch viel mehr. Ich schulde dir alles, was ich gelernt habe, seitdem wir uns getrennt haben, und ich will dir das alles erstatten. Das verspreche ich dir. Du sollst deine Erinnerungen behalten, denn du schuldest mir nichts. Aber ich stehe in deiner Schuld.«
    Sein Mund stand vor Verwunderung offen. »Meinst du wirklich, was du sagst?«
    Ich nickte ihm zu. »Du kannst jetzt weglaufen, wenn du willst. Aber ich werde zurückkommen und versuchen, alles wieder gutzumachen, solange ich lebe.«
    Dann tat er etwas Seltsames. Er ging ein paar Schritte weiter, näherte sich einer Ansammlung von getrocknetem Lehm und berührte ein viereckiges Mosaik, das auf den ersten Blick von den anderen nicht zu unterscheiden war. Als er es anfaßte, wuchs das Stück plötzlich in die Höhe, eine bernsteinfarbene Honigwabe inmitten einer trockenen Wüste.
    »Hier ist dein Wasserturm«, sagte er und warf das zerbrechliche Stück direkt vor meine Füße, wo es auf dem Boden in tausend Stücke zersprang.

14
     
    Kaum war diese materialisierte Erinnerung zerstoben – die Einzelteile waren mir nur so um die Ohren geflogen –, da wurde ich heftigst in die Vergangenheit zurückgeschleudert. Vor dem Haus gab es damals Klapperschlangen, fiel mir wieder ein, drinnen lauerten Skorpione, und Tausendfüßler krochen in der Dusche herum. Aber auf einer Farm in Arizona bot man als Junge solchen Gefahren mutig die Stirn.
    Schlüpf niemals in deine Stiefel, ohne sie vorher kräftig über dem Boden auszuschütteln, damit unerwünschte Besucher herausfallen. Kriech niemals unter Felsen oder Holzhaufen, ohne erst einmal nachzusehen, wer dich als Eindringling empfinden und dir einen bösen Denkzettel verpassen könnte.
    Die Wüste war ein Meer aus Steinen, Sträuchern und Felsen. Die Berge waren Inseln am Rande des Horizonts. Alles andere war plattgedrückt, die Zeit in Sandstein eingemeißelt.
    Der Wasserturm ähnelte eher einer Windmühle, weil über dem Rand des Wassertanks ein großes Windrad befestigt war. Imposant und bedrohlich richtete sich diese einzige Vertikale meines Lebens vor mir auf. Jeden Tag mußte einer von uns die hölzerne Leiter hochsteigen und den Wasserstand des offenen Tanks, der hoch über dem Haus thronte, zu uns herunterschreien. Für meine Brüder war es eine lästige Pflicht. Für mich war die Leiter des Turms die Henkersleiter zum Schafott. Es war nicht so sehr die Höhe, die mich erschreckte, es war die Angst, in die Tiefe zu fallen. Genau erklären konnte ich das aber nicht.
    Bobby wollte mich zum Aufstieg bewegen. »Du bist dran, Dickie. Lies den Wasserstand ab!«
    »Ich bin noch gar nicht dran.«
    Er ließ den Einwand nicht gelten. »Du scheinst niemals dran zu sein. Roy klettert hoch, ich gehe nach oben, jetzt mußt du mal Farbe bekennen.«
    »Ich bin dafür noch zu klein, Bobby«, wandte ich zaghaft ein. »Laß mich aus dem Spiel.«
    »Du hast Angst davor«, stichelte er. »Fürchtet sich das kleine Baby, den Turm hochzuklettern?«
    Ich habe ein halbes Jahrhundert lang verdrängt, wie sehr ich meinen Bruder liebte, aber in solchen Momenten hatte ich ihn in die Hölle gewünscht. »Er ist einfach zu hoch für mich.«
    »Das Baby hat immer noch Angst, hinaufzuklettern.« Er drehte sich um, turnte behende die Leiter hoch, ohne sich weiter um mich zu kümmern, beugte sich über den Rand des Tanks, brüllte den Wasserstand zu uns herunter, kletterte wieder herunter und ging dann ins Haus, um in seinem Buch weiterzulesen.
    Wie leicht wäre es für mich gewesen, ihm zuzustimmen: Ja, Bobby, ich bin noch zu klein, und ich habe Angst, den Wasserturm hochzuklettern, weil ich irgendwo auf der Leiter ausrutschen und dann in diese unendliche Tiefe herabstürzen und auf einen Felsen am Boden aufschlagen könnte. Diese Angst hatte ich auch später noch, und ich habe mich vor solchen Klettereien immer gedrückt.
    Heutzutage kann ich mich frei darüber äußern, und ich glaube, mein Bruder würde meine Einstellung dazu auch ohne weiteres akzeptieren. Damals jedoch quälte mich der Spott des Älteren, und der Wasserturm stand wie ein riesiges Ausrufezeichen hinter dem Wort Feigling.
    Ich haßte diesen

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