Heimkehr der Vorfahren
Zögernd legte sie ihm die Hand auf den Arm, »ich liebe…«
»… mich, ich weiß«, fiel er ihr ins Wort. »Aber ich höre es immer wieder gern.«
»Servus!« sagte eine tiefe Stimme. Neben dem Tisch stand ein Mann, groß und schlank, sehnig und straff wie ein Sportler. Er hatte ein hageres Gesicht und leicht ergraute Schläfen. Wie sein Mund und seine Nase aussahen, das wußten die wenigsten Menschen zu sagen. Seine Augen nahmen den Betrachter sofort gefangen.
Vena zog die Hand von Raigers Arm zurück und streckte sie dem Mann entgegen. »Servus, Onkel Maro!« Sie war sichtlich erfreut.
Raigers Miene wurde kühl. »Guten Tag, Genosse Lohming.«
Maro Lohming drückte beiden herzhaft die Hand. »Darf ich?« Er saß bereits. »Ich suchte dich daheim, Vena, du hast lange nichts von dir hören lassen.«
»Wirklich – drei ganze Tage!« warf Raiger ein. Vena hätte ihm am liebsten auf den Fuß getreten, Maros Augen verrieten, daß er sich amüsierte. »Wenn du meine Hilfe brauchst…«
»… melde ich mich, Onkel Maro, bestimmt! Bis jetzt komme ich allein klar.«
»Du solltest bei deinen Forschungen noch zeitbezogener vorgehen und alle Quellen nützen – willst du’s nicht noch einmal versuchen?«
Venas Miene wurde verschlossen. Onkel Maro schwor auf zeitgenössisches Anschauungsmaterial, vor allem auf Filme. Sie hatte sich von ihm überzeugen lassen. Um die Zeit kennenzulernen, die den Begriff Kybernetik hervorgebracht hatte, war sie, entdeckungsfreudig wie ein Kind, ins Archiv gegangen und hatte unter den historischen Dokumentarfilmen gewühlt. Ein Streifen aus dem Jahr 1943 geriet ihr in die Hand. Neugierig ließ sie ihn vor sich ablaufen. Es war grauenhaft.
Müde Männer von gleichem Aussehen, Blechhüte auf dem Kopf, Riemen um den Leib, lange Messer an der Seite und Feuerwaffen auf der Schulter, stampften in Kolonnen an geborstenen und brennenden Häusern vorbei… Blechkästen auf Gleisketten wälzten sich feuerspeiend durch fruchtschwere Felder… Blechhüte hinter einer rauchgeschwärzten Mauer, ringsum barst die Erde, Rauchpilze wuchsen in die Höhe. Kreischen und Dröhnen, Krachen und Wimmern. Einer der Männer griff sich an den Leib, sank zusammen. Man spürte förmlich, wie er stöhnte… Nun eine Stadt. Sirenengeheul, Menschen flohen in Häusereingänge. Es dröhnte in der Luft, Kanonen bellten, Jaulen und Flattern und Pfeifen – und wieder krachte es wie aus tausend Höllenschlünden. Häuser platzten, Steine, Balken und Fenster wirbelten durch die Luft. Menschen, dem Keller eines brennenden Hauses entkommen, hetzten, von panischem Schrecken gejagt, durch das Inferno. Ein kleines Mädchen irrte durch den Feuersturm, im Arm eine Puppe…
Das Entsetzen hatte Vena gelähmt. Barbaren! Das also hieß Krieg? Wie anders empfand sie ihn jetzt als im Geschichtsunterricht.
Sie war den Schock nicht wieder losgeworden. Da half auch keine Vernunft: Die Menschheit hatte sich von dieser Geißel befreit. Sie hatte die Wurzeln des Krieges ausgerottet und eine Gesellschaftsform errichtet, die jeden Krieg ausschloß. Kriege waren Symptome kranker Gesellschaftsformen, die Menschheit aber war davon genesen. Vena wußte es – doch die Furcht vor einer Wiederholung solcher Bilder blieb in ihr zurück.
»Bitte, Onkel Maro, verschone mich«, sagte Vena. Die Freude über das unvermutete Wiedersehen war vergangen. Onkel Maro sollte endlich aufhören zu drängen.
»Du verstehst die Zusammenhänge besser«, beharrte Maro Lohming.
»…und ruinierst deine Nerven!« setzte Raiger bissig hinzu.
Vena schwieg. Raigers Unterstützung war ihr unangenehm, denn theoretisch hatte Onkel Maro recht. Aber das war es ja, deshalb griff sie so bereitwillig die Möglichkeit auf, sich mit allem zu beschäftigen, was die Kosmos betraf. Gewiß, sie wich einem intensiven Studium der historischen Klassen-, Produktions- und Lebensverhältnisse aus. Um so mehr hätte sie Raigers Verständnisses bedurft, wenn sie sich dem Fragenkomplex Kosmos zuwandte, aber sie fand keine überzeugenden Argumente mehr. Raiger würde ihr rundheraus antworten: Daß du dem nicht gewachsen bist, hast du doch bewiesen. Widme dich lieber Dingen, die uns vorwärtsbringen. Soeben noch, als sie ihm sagen wollte, daß sich ihr Stoffgebiet erweiterte, hatte sie gehofft, er würde sie verstehen. Jetzt zweifelte sie wieder daran, stärker als zuvor.
Onkel Maro gab es anscheinend auf. Aber Vena sah ihm an, daß er mit ihr nicht einverstanden war. Sicher würde er auf das Thema
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