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Heimkehr zu den Dakota

Heimkehr zu den Dakota

Titel: Heimkehr zu den Dakota Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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sang. Er gelangte zum Eingang, er ging hinein. Der Geruch von verschüttetem Bier, von kaltem Tabak, von erbrochenem Essen und Trinken schlug ihm entgegen. Die meisten Tische waren schon leer. Nur an einigen saßen noch die Unentwegten zusammen mit aufgedunsenen Gesichtern. Sie grölten heiser und unzusammenhängend und verlangten weiterzutrinken. Drei Kellner bedienten. Die Mädchen waren schon gegangen.
    Mattotaupa schaute nach den Tischen, an denen die Ingenieure und die alten Prärieläufer gesessen hatten. Bloody Bill und seine lange Lilly hockten noch dort, außer ihm vier Mann. Red Jim, Joe, Henry, Taylor, Charlemagne, Mackie waren nicht mehr zu sehen. Als der Indianer langsam zwischen den Tischen hindurchging, begann der Zigeunerprimas einen wilden Tanz zu spielen. Mattotaupa kam nah an dem Podium der Kapelle vorüber, betrachtete den Geiger abwesend, wie über eine weite Entfernung hinweg, und warf ihm dann eine Goldmünze hin. Aus den Augen des Zigeuners schoß Feuer; die ganze Kapelle spielte Sturm, und die reißende Melodie wirkte gespenstisch in dem riesigen leeren stinkenden Raum.
    Mattotaupa ließ sich auf die nächste Bank fallen. Es war ihm gleichgültig, daß der Tisch davor von verschüttetem Bier triefte.
    »Brandy!« rief er.
    Die Kellner waren flink für diesen Gast. Während die Kapelle nur für ihn spielte, schüttete Top den Branntwein hinunter. Es schwindelte ihm, und er trank weiter. Er wußte nicht mehr, daß er von der Bank auf den Boden sank. Er war schwer, und seine Augen schlössen sich.
    Die drei Kellner warfen sich im Umherlaufen verstohlene Blicke zu. Allmählich zogen sie ihre Kreise enger um den vom Alkohol Eingeschläferten, endlich standen sie um ihn herum.
    »Zahlen muß er noch«, sagte schließlich der eine.
    Da merkten sie, daß sie nicht mehr drei waren, sondern schon fünf. Der Geiger und Bloody Bill hatten sich mit eingefunden. Bill nahm den Lederbeutel, den Top am Gürtel trug, leerte ihn und legte die Münzen auf den Tisch. »Teilen wir ehrlich?«
    »Erst die Zeche!« sagten die Kellner und nahmen den größeren Teil an sich.
    »Dann die Musik!« sagte der Geiger und griff nach dem Rest.
    »Ihr Raub- und Diebesgesindel!« schrie Bill und wollte dem Zigeuner das Geld entreißen, aber da blitzte schon ein Stilett, und Bill zog die durchstoßene Hand fluchend zurück. Die lange Lilly kreischte im Hintergrund.
    »Schaffen wir den Indsman heim«, meinte einer der Kellner. »Das ist mitbezahlt!«
    Während der Zigeuner und Bill zu einem Hahnenkampf ansetzten, bei dem alle Mittel erlaubt waren, schleppten zwei der Kellner den Indianer auf ihren Schultern weg und trugen ihn hinaus bis zu seinem eigenen Zelt. Dort warfen sie ihn neben den beiden Pferden ins Gras.
    Als sie weggegangen waren und das Indianerzelt schon nicht mehr sehen konnten, schlüpfte Harka aus dem Tipi. Er holte den Vater, der noch immer nicht zu sich gekommen war, in das Zelt herein und legte ihn auf eine Decke.
    Dann setzte er sich an das Feuer und rauchte.
    Die Seminolin saß im Hintergrund. Sie hatte sich so gesetzt, daß Harka ihr verstümmeltes Gesicht sah, wenn er vom Feuer aufblickte. Die Frau galt als stumm; vielleicht war auch ihre Zunge verstümmelt. Nie hörte jemand sie ein Wort sprechen. Auch Harka wußte nichts von ihr, als daß sie eine Seminolin war, die nach der Niederlage ihres Stammes in Florida in Sklaverei geraten und nach Beendigung des Bürgerkrieges frei geworden war. Sie hatte als Kesselschlepperin bei der Küche gearbeitet. Von dort hatte Harka sie mit Joes Erlaubnis und der Unterstützung des Blondbärtigen weggeholt, um für den Vater und sich jemanden zu haben, der das Zelt in der gewohnten Weise versorgte.
    An diesem Morgen, an dem sich das Licht durch Staubwolken und Lederplanen nur trübe ins Zelt kämpfte, schienen aus dem verstümmelten Gesicht zum erstenmal lebende Augen zu schauen. Allmählich fingen sie Harkas Blick und hielten ihn fest.
    »Sprechen.« Mühsam, rauh kam die lange nicht gebrauchte Stimme aus der Kehle und zwang sich in die fremde, die englische Sprache. Harka war in ganz anderen Gedanken gefangen gewesen, und vielleicht hatte er nie so wenig an die Verstümmelte gedacht wie in diesem Augenblick. Aber als sie ihn lange genug fest angesehen hatte und nun zu sprechen begann, war es so, als ob ein Wunder geschehe und ein Baum Sprache bekommen habe, und er mußte zuhören und antworten.
    »Wer hat dich verstümmelt?« fragte er.
    »Weißer Mann. Seminolen haben

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