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Heimkehr zu den Dakota

Heimkehr zu den Dakota

Titel: Heimkehr zu den Dakota Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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gesprochen habe.
    Schonka war nirgends mehr zu sehen. Nur Uinonah hatte beobachtet, wie er nach der Anklage gegen Hawandschita sofort in das Zauberzelt gelaufen war.
    Das Zauberzelt öffnete sich, und der Geheimnismann brach daraus hervor. In der Linken hielt er seinen großen Zauberstab, der mit Schlangenhäuten und Tierfellen behängt war. Er selbst war verkleidet mit Hörnern und Schädeln. So sprang er herbei wie ein tollwütiges, gefährliches Tier. Er tanzte auf dem Platz umher. Alles wich scheu zurück. Die Rechte des alten Zauberers umklammerte das steinerne Opfermesser.
    Tschetansapa fuhr zusammen, und Stein mit Hörnern begriff, wie jetzt der Tod auf ihn zukam und daß er ihm nicht ausweichen konnte. Niemand, nicht einmal Tschetan, würde auch nur den Gedanken gewagt haben, dem Manne mit dem heiligen Opfermesser in den Arm zu fallen.
    Die ganze Versammlung schien zu Stein geworden zu sein.
    Hinter dem Halbkreis der Krieger aber, dem Pfahle genau gegenüber, standen Untschida und Uinonah. Sie gehörten, wie Tschetansapa, zu den wenigen Mitgliedern der Bärenbande, die den Kult- und Richtplatz nicht einen Augenblick verlassen hatten. Am Tage, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, hatten die beiden Frauen sich noch im Sitzen und Stehen abgelöst. Aber seit Sonnenuntergang, als die Feuer angezündet wurden, hatten sie beide unentwegt an ihrem Platze gestanden. Gleich aufrecht, gleich stumm, gleich reglos standen die Mutter Mattotaupas und die Tochter Mattotaupas nebeneinander. Niemand hatte sie angesprochen, niemand sie mit Blicken belästigt. Das weiß gewordene Haar Untschidas und das lange schwarze Haar Uinonahs waren sorgfältig gelegt und geflochten. Beide Frauen trugen ihre Festkleider. Untschidas große Augen lagen tief in den Höhlen unter den Stirnknochen. In ihrem hageren Gesicht drückte sich mehr als der Harm einer Mutter um den ermordeten Sohn und um den vom Tode bedrohten Sohn dieses Sohnes aus. Niemand konnte ganz fassen, was hinter dieser Stirn noch lebendig sein mochte an Denken und Fühlen. Aber jeder hatte gespürt, daß er selbst zu klein sei, um den Gram und den Willen dieser Frau mit seinen Gedanken abzutasten.
    Untschida war eine Geheimnisfrau. Uinonah glich ihr. Ihre Jugend und ihre Schönheit waren nicht die der anderen Mädchen. Der Kummer und größeres Wissen hatten sie von Kind an ganz und gar durchdrungen.
    Der Zaubermann tanzte. Er näherte sich dem Pfahl, an dem Stein mit Hörnern ihn erwartete. Hawandschita warf den Zauberstab durch die Luft, so daß der Speer im Bogen hinaus und herab schwebte und sich mit der Spitze neben Stein mit Hörnern tief in die Erde bohrte. Dann hob Hawandschita das Steinmesser und ging langsam auf den von ihm Verurteilten zu.
    Tschetansapa dachte nur noch: Es darf nicht geschehen, und doch wird es geschehen. Seine Nerven, Muskeln, Sehnen spannten sich, sein Mund öffnete sich ein wenig, ohne daß ein Ton hervorkam. Schonka stand bei Hawandschita. Die Mordgier des Unterlegenen, der den Sinn und die Ursachen seiner Niederlagen noch nie begriffen hatte, sprach aus seinen weiß erscheinenden Augen.
    Stein mit Hörnern wußte, daß der Zaubermann kam, um ihm mit dem Opfermesser die Brust aufzuschlitzen und ihm das Herz herauszureißen. Er schloß die Augen nicht. Er wollte sehend sterben. Vor ihm stand die maskenbehängte Gestalt mit dem Opfermesser, unmenschlich wirkend schon dadurch, daß das menschliche Antlitz hinter den drohenden Kultzeichen nicht mehr sichtbar war.
    Über den Platz erschallte ein langer tiefer mächtiger Ton. Niemand wußte gleich, woher er kam. Hawandschita spürte ihn in seinem Nacken, als ob er ihn von hinten anfasse. Er versteinerte selbst mit dem erhobenen steinernen Messer. Ein schriller Laut übertönte den dunklen. Dann erklang es, laut und allen vernehmlich:
    »Tatanka-yotanka kommt! Der große Geheimnismann der Dakota! Tatanka-yotanka kommt! Der große Geheimnismann der Dakota!« So rief es, unaufhörlich wie ein Trommelwirbel.
    Tschetansapa drang der Ruf durch Gehirn und alle Glieder. Während er dicht neben dem Jugendgefährten stand und vor sich die dürre maskenbehängte Gestalt mit dem erhobenen Steinmesser sah, überwältigte ihn der Ruf, und er war so besessen davon, daß diese Worte Wahrheit werden müßten, daß er sie schon für Wirklichkeit hielt. Gellend antwortete er dem Rufe Untschidas, von dem der Zauberer im Nacken gepackt worden war: »Tatanka- yotanka kommt! Der große Geheimnismann der Dakota!

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