18 Geisterstories
Laertes von
Karl Hans Strobl
Der österreichische Schriftsteller Karl Hans Strobl (1877-1946) wurde mit seinen fantastischen Spukgeschichten, Novellen und Romanen zum Erneuerer und Begründer einer Gattung, die im deutschen Sprachraum Gustav Meyrink und Hanns Heinz Ewers fortsetzten. Ge spenster, Vampire, Teufel, Hexen, Alben und Lemuren bevölkern seine Erzählungen. So leiht blinde Eifersucht dem ermordeten Darsteller des Laertes in der vorliegenden Erzählung aus dem Jahre 1905 noch einmal Gestalt und Maske: Shakespeare, wie ihn nur wenige Theaterfreunde kennen. In der von Hanns Heinz Ewers herausgegebenen Galerie der Fantasten erschien 1921 unter dem Titel ›Lemuria‹ eine Auswahl seiner seltsamen Geschichten.
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Der Direktor telefonierte es dem Theatersekretär, der eben alle Greuel der Wolfsschlucht hinnehmen mußte, der Theatersekretär ließ die ungeheure Neuigkeit sofort auf den Regisseur überströmen, der Regisseur leitete sie auf Samiel, Agathe und Kaspar weiter, die Agathe sagte es dem Kollegen vom Schauspiel, der sie im Dunkel der Kulissen bewunderte, und wie ein Wasserfall von der Hö he stürzt, rauschte die Nachricht aus den hellen Hö hen; verästelnd, sich verbreiternd, alle Hindernisse überspringend, funkelnd und betäubend bis zu den untersten Dunkelheiten der Theaterarbeiter. Zwischen Versenkung zwei und drei, zwischen ›Abenddämmerung‹ und ›Mondschein‹ auf dem Schnürboden, unter der Brücke, auf der Agathes Geist erscheint, hinter dem borstigen Rücken des Wildschweines und neben der großen Trommel des Wassersturzes flüsterte man davon. Dann quoll die Nachricht in die Stadt hinaus und brachte die Welt, deren Mittelpunkt die Raritäten des Theaters sind, in Aufregung. Der Kellner im Cafe Stadttheater servierte mit der Melange diskret dieses neueste Bühnenereignis und berechnete aus dem überraschten Aufschauen des Gastes den Tageskurs seines Trinkgeldes. Alle Freunde der Kunst schüttelten die Köpfe und die ältesten unter ihnen konnten gar nicht wieder aufhören, als wären sie durch den Schrecken in Pagoden verwandelt. Aus dieser Nachricht rüttelten sich eine Menge von Gesprächsstof fen, von Vermutungen, von Aphorismen, von guten und schlechten Witzen, wie die Bänder, Sträuße, Bonbonnie ren, Kaninchen aus dem Zylinder eines Magiers.
Vormittags um elf hatte Josef Prinz dem Direktor mitgeteilt, daß er bereit sei, den Hamlet zu spielen, und als er nachmittags um drei nach Hause kam, erwartete ihn seine Wirtin mit festlich verdoppelten Schminkschichten und vor Erregung etwas mißratenen Augenbrauen.
Ihre Fußspitzen quälten sich mit Schweben ab und ihre Arme klappten auf und nieder, wie die Flügel einer verlassenen Windmühle: »Ich höre, ich höre … oh, ich bin außer mir. Ist es möglich, Herr Prinz! Oh, Sie wollen uns wieder, ich fasse es nicht … Sie wollen uns wieder Ihren Hamlet schenken. Oh … dieser Monolog! Wie Sie den gesprochen haben …!«
Prinz drängte an den Windmühlflügeln vorbei und kämpfte sich der Tür seiner Wohnung zu. Zwischen zwei Drehungen und drei Ausrufen entschlüpfte er der Gefahr, nahm auf der Schwelle seiner Tür die Pose eines Cäsars an, der einen Weltteil verschenkt, und rief: »Sie sollen eine Freikarte haben.« Dann schützte er sich durch einen starken, einbruchsicheren Riegel. Aber um vier mußte er dem Theaterdiener öffnen, der ihm die Rolle und einen Strauß taktloser Fragen und Andeutungen brachte. Um fünf übergab ihm der Briefträger dreiundzwanzig Briefchen in zarten Farben von Lila bis Rosa, mit allen Gerüchen von Moschus bis Heliotrop, mit den glühendsten
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