Heimlich
Bulle vor Jahren über mich hergefallen seid, da wußte ich, daß du in Ordnung bist. Aber du hattest ja wohl keine große Ahnung, was eigentlich los war. Seh’ ich das richtig?«
»Denke schon. Wenn es dich tröstet, ich hatte mal einen Freund, einen Trinker, der seiner Zeit weit voraus war. Der erzählte immer, es gäbe eine Stadt der Toten, hier mitten unter uns, aber für uns nicht zu erkennen. Er sagte, wenn die Leute dahinkämen, würden sie genauso weitermachen wie auf der Erde. Das ist kein großer Trost für mich, aber ich denke, das kann schon stimmen.«
Brubaker antwortete nicht. Er heulte nur zum Fenster hinaus und hatte seinen Kopf fest gegen den Türrahmen gepreßt. Er heulte immer noch, als ich ihn an seiner Bar in Venice absetzte.
25
Ich observierte das Wohnhaus auf dem Beverly Boulevard drei Tage lang. Ich saß geduckt in meinem Wagen und sah Michael zu, wie er im Vorgarten Comics las, und bemerkte, daß er zum Lesen eine starke Brille trug. Ich sah zu, wie er einen Tennisball gegen die Hauswand warf und den zurückprallenden Ball meistens verfehlte. Ich sah zu, wie er an seinen Pickeln fummelte, und ich sah zu, wie er mit einem verrosteten Golfschläger auf den Tennisball eindrosch. Ich sah zu, wie er im Gras lag und träumte. Ich bemerkte, daß die Kinder aus der Nachbarschaft ihn mieden wie die Pest. Ich stellte fest, daß er viel größer als ich sein würde, wenn er zwölf wäre.
Nach diesen drei Tagen wußte ich, daß ich ihn liebte.
Er starrte mich einfach an, als er die Tür aufriß, an die ich geklopft hatte. Ich starrte einen Moment lang zurück, dann brach ich das Schweigen.
»Hallo, Mike. Darf ich reinkommen?«
»Klar.«
Ich ging durch die bescheidene Wohnung und hielt Ausschau nach etwas, worüber ich reden konnte. »Wo ist dein Hund?« fragte ich schließlich.
»Sie ist weggelaufen«, sagte Michael.
Das war genau mein Stichwort. »Dein Vater ist tot, Mike.«
Michael sagte: »Hab’ ich mir gedacht«, dann sah er durch das Fenster auf den Strom von Autos, der sich über den Beverly Boulevard bewegte. »Ich wußte, daß er sterben mußte - wegen der Geschichten. Er dachte, ich wäre ein schlauer Kerl, aber er wußte nicht, wie schlau. Er dachte, er könnte mir was vormachen. Er dachte, ich wüßte nicht, daß die Geschichten wahr waren.«
»Welche Geschichten, Mike?«
Michael richtete seinen abwesenden Blick auf mich. »Das werd’ ich dir nicht erzählen. Niemals. Okay?«
»Okay. Vermißt du deinen Hund?«
»Ja, mein Hund war mein Freund.«
»Ich hab’ einen Hund. Einen verdammt braven Hund.«
»Welche Rasse?«
»Ein großer schwarzer Labrador. Er liebt Menschen und haßt Katzen.«
»Ich mag auch keine Katzen. Das sind Schleimer. Was passiert jetzt, Fred?«
»Du kommst mit zu mir und wohnst bei mir. Möchtest du das?«
»Bist du verheiratet?«
»Ich weiß nicht. Ich glaube.«
»Wie ist deine Frau denn so?«
»Sie ist sehr gescheit und stark und sehr schön.«
»Gehört der Labrador mir dann auch?«
»Ja.«
»Dann ist’s okay.«
»Pack deine Sachen. Laß die Sachen deines Vaters liegen. Die schaffe ich später fort.«
Zehn Minuten später war der Rücksitz meines Wagens beladen mit einer dürftigen Ansammlung von Kleidern und verschiedenen anderen Dingen - und einer riesigen Büchersammlung. Ich fuhr zu einer Telefonzelle, rief Big Sid zuhause an und sagte ihm, ich hätte einen Gast für ihn, um den er sich bitte ein paar Tage kümmern möchte. Der Horrorfilm-Mogul war erst verwirrt, dann aber hell begeistert, als ich ihm sagte, daß es sich um einen gescheiten Jungen handelte, der Horrorfilme liebte.
Sid wartete auf dem Rasen vor seinem riesigen Haus auf uns, als wir im Canon Drive ankamen. Ich stellte ihm Michael vor, und Sid machte seine Späße mit ihm und bot ihm eine Zigarre an. Michael wälzte sich auf dem Boden vor Lachen, dann stand er auf, umarmte mich und rannte auf das Haus zu.
Von einer Telefonzelle rief ich Lornas Büro an. Ihre Sekretärin sagte mir, sie wäre unten in San Diego auf einem Kongreß. Sie würde im El Cortez Hotel wohnen und würde in zwei oder drei Tagen wiederkommen. Ich konnte nicht warten. Ich tankte voll und jagte auf dem San Diego Freeway nach Süden.
Es dämmerte, als ich in San Diego ankam. Ein betrunkener Matrose zeigte mir den Weg zum El Cortez, einem rosafarbenen Gebäude mit einem verglasten Fahrstuhl an der Außenwand.
Ich würgte meinen Wagen in eine Parklücke und stürmte durch die Eingangshalle zur
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