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Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Titel: Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Meier
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noch fieberhaft überlege, wie ich unsere Anwesenheit hier erklären könnte, tritt sie auf mich zu, reicht mir wortlos eine Taschenlampe und einen Korb mit einer Decke und Essen für Evelyn, lächelt mir aufmunternd zu, zwickt Dr. Holm zwinkernd in die Wange und läuft dann in aller Ruhe den Gang hinunter. Hilflos dankbar schaue ich ihr hinterher, und der Professor wirft auf einen Schlag Angst und Müdigkeit wie ein lästiges Sackgewand von sich:
    »Donnerwetter, diese Schwester Ananke ist schon ’n dolles Weib! Eine einzige Prachtstraße! Da möchte man sein Leben lang drauf …«
    »Jaja, Sie halten jetzt die Schnauze, Professor, kommen Sie schon!«
    Holm und ich schütteln uns noch einmal die Hände, zum letzten Mal heften wir uns mit dem halben Kreuzstich unserer Arme aneinander, sehen uns dabei aber nicht in die Augen wie sonst, sondern starren uns gegenseitig aufs Revers. Ich kann seine Hand nicht loslassen, doch schließlich entzieht er sie mir mit einem kleinen Ruck, dreht sich abrupt um und eilt davon. Dumpf schaue ich ihm nach, bis sein weißer Kittel sich im dunklen Gang verliert. Dann schlittern wir drei zum ersten Mal nachts über die glatten Terrassenbohlen, und Evelyn kichert vor ängstlicher Aufregung:
    »Erst bei einer Belohnung dabei sein und jetzt eine Nachtwanderung, eine richtige Nachtwanderung! Wenn ich das überlebe, dann wär ich immerhin bis zum Weltwissen der Siebenjährigen gekommen, das wär doch was, Papa, oder nicht?«
    »Ja, das wär was, mein Junge, das wär weiter, als ich jemals für dich gehofft habe.«

42.
    Das nächtliche Gras ist, weil wir es nicht sehen können, noch kühler, feuchter und rutschiger, als es tatsächlich ist. Ich habe die beiden ihre Schuhe ausziehen lassen, da man hier draußen in glattbesohlten Lackschuhen nicht sehr weit kommt, aber weil sie nicht wie ich, der ich seit fast zwanzig Jahren keinen Schuh mehr getragen habe, ans Barfußlaufen gewöhnt sind, haben sie jetzt in der Dunkelheit Mühe, den einen Fuß fest und trotzdem geschwind vor den anderen die steile Bergwiese hinab zu setzen.
    Sicher gehe ich voran, lasse den Strahl der Taschenlampe als Spürhund den Weg suchen, und trotz der übermächtigen Schwärze läuft er zickzackig heiter vor mir her, denn hier ist der Hund endlich einmal eins mit seiner Leine. Unter unseren Füßen quietscht das Gras unangemessen laut, wohl um uns über die ansonsten unnatürliche Stille dieser Nacht hinwegzutäuschen. Irgendetwas müsste man doch hören außer diesem penetranten Gequietsche, das die Stille noch beklemmender macht und im Kanon mit Evelyns ängstlich konzentriertem oder eher konzentriert ängstlichem Geschnaufe unsere verstockten Abwärtsschritte rhythmisiert. Doch da haben wir zum Glück auch schon die erste Wiese geschafft, und zur Hebung der Gruppenmoral springen wir alle drei locker, ohne die Hände zu Hilfe zu nehmen, über das Holzgatter, auch der Professor, der tapfer, ich fürchte allzu tapfer, seinen Bruch ignoriert.
    Auf der anderen Seite angekommen schwindelt uns für einen Moment auf dem plötzlich wieder ebenen Boden, unsere abwärtseingestellten Körper haben nicht schnell genug verstanden, dass die Erde sich hier für ein paar Meter von ihrem Fallen ausruht. Im Dunkeln hatten wir vergessen, dass die acht Wiesen auf einer sanft skandierten Kaskade den Berg hinabsteigen, und also nicht nur durch Holzgatter und, weiter unten angeblich, aber so weit reichte mein Auge nie, hohe Stahlzäune voneinander abgegrenzt werden, sondern zusätzlich durch kleine terrassenartige Plateaus.
    Die harmonische Fügung aus dem weichrunden Fallen und seiner kurzen kultivierten Unterbrechung durch den zum Verweilen und Ausschauhalten auffordernden Treppenabsatz, Einladung zu einer müßigen kleinen Bestandsaufnahme, Hast du dich selbst auch ständig vor Augen? Hast du deine Zeit recht angewendet? , schien mir, solange oder eher sofern ich hier denken konnte, das Natürlichste von der Welt. Aber jetzt, wo ich nicht nur meinen beschränkten Blick die Bergwiesen hinabschicke, sondern zum ersten Mal mit beiden Beinen und mit nackten Füßen jenseits des innersten Gatters stehe, erscheint mir die außerordentliche Kühle und Glätte der grasüberzogenen Erde äußerst sonderbar, und auch das Taschenlampenhündchen schnüffelt ratlos über den allzu ebenen Boden.
    »Mir ist kalt, Papa, meine Füße sind wie Eis!«
    »Dir wird gleich wieder wärmer, wir dürfen nur nicht länger stillstehen. Kommt, Leute, weiter runter,

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