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Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Titel: Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Meier
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Biester!«
    »Die Sterne sind Tiere, nicht, Großväterchen?«
    »Nein, die Sterne sind Sterne, dummes Satanskindchen.«
    »Ja, das weiß ich doch, ich meinte nicht die Sterne, sondern die Sternbilder, die sind doch aber Tiere, jedenfalls die meisten oder wenigstens ein paar von ihnen, oder nicht? Also ich meine keine echten Tiere natürlich, aber trotzdem richtig echte Tierbilder, die ich in meinem Kopf sammeln kann, und wenn ich genug zusammenhabe, helfen sie mir, mich zu orientieren. Sie sagen mir, wo ich bin.«
    »Ja, aber sie sagen dir nur, wo du bist, wenn du sie nicht für Tiere hältst. Du musst ihre Tiergestalt erkennen, sonst findest du dich am Himmel nicht zurecht, aber darfst sie doch nicht für Tiere halten, sonst führen sie dich in die Irre, die verschlagenen Biester. Können nichts dafür, hochgradig bipolares Vieh, aber man sollte ihnen nicht über den Weg …«
    »Aber das weiß ich doch.«
    »Das glaube ich kaum, Jungchen, dafür bist du viel zu dumm, genau wie dein Vater. Pass mal auf: Sagen Sie, Doktor, sind Sie eigentlich ein Skorpion?«
    »Ja, selbstverständlich, sonst hätte ich wohl kaum Arzt werden können.«
    »Siehst du, Jungchen, was für’n dummes Huhn dein Vater ist?«
    Evelyn kichert erst leise, steigert sich dann aber in einen erschöpfend schwachsinnigen Lachanfall hinein, und so dankbar ich dem Professor für seine aufheiternden Worte bin, bekomme ich doch langsam Angst, der Junge könnte erneut und damit endgültig kollabieren. Also wickle ich die Decke enger um ihn, schüttele ihn leicht und ziehe ihn zu mir heran:
    »Ja, jetzt ist gut, schlaf jetzt, Evelyn, tu mir den Gefallen!«
    Er hickst ein paarmal unschlüssig, legt sich dann aber brav auf meinen Schoß. Das Gesicht seitlich auf seine übereinandergelegten Hände auf meinem Knie gebettet, wird sein Atem langsam ruhiger. Der Professor rutscht verstohlen näher, lehnt den Kopf an meine Schulter und schläft auf der Stelle ein. Endlich Ruhe, Gott sei Dank! Doch da dreht Evelyn den Kopf zu mir hoch und flüstert ängstlich:
    »Papa, der Weg ist doch nicht das Ziel, oder?«
    »Nein, hab keine Angst, das ist er nicht, ich versprech’s dir, so wie ich deiner Mutter versprochen habe, dich nach unten zu bringen.«
    »Die Ambulante ist meine Mutter?«
    »Ja natürlich. Hab ich dir das nicht gesagt?«
    »Nein, hast du nicht. Du sagst mir ja nie was.«
    »Naja, aber jetzt grade sag ich’s dir doch, oder nicht? Dann weißt du es halt jetzt.«
    »Und sie vertraut dir? Warum?«
    »Ich weiß es auch nicht, wahrscheinlich kann sie nicht anders, als immer wieder denselben Fehler zu machen.«
    »Vielleicht vertraut sie dir aber auch nicht genug.«
    »Auch möglich, aber das ist müßig, weil es aufs selbe hinausläuft. Schlaf jetzt!«
    »Papa, wenn du zu mir zurückkämst, ich würde jederzeit ein Kalb für dich schlachten. Ein armes, kleines Kälbchen.«
    »Vielen Dank, mein Junge, aber fürs Erste wär mir mehr damit geholfen, du würdest schlafen für mich.«
    »Guck mal, da ist der Delphin!«
    Er streckt seinen Arm an meiner Nase vorbei nach oben, und ich lege ihm folgend den Kopf in den Nacken:
    »Wo?«
    »Na da, unter dem Füchschen, siehst du das Füchschen, da unter dem Schwan?«
    »J-nein.«
    »Da, mit der langgezogenen Schnauze.«
    »Ach ja, tatsächlich.«
    »Ja, und jetzt wieder runter, auf der Höhe der Schnauze vom Füchschen nach unten, da ist der Delphin, da ganz unten ist die Flosse, schräg über dem Adler, siehst du sie, Papa?«
    »Ach da, ja tatsächlich! Das ist der Delphin. Obwohl’s ja eigentlich nur ein Trapez mit Schwanz ist, das Ding könnte so ziemlich jeder Fisch sein, auch ein Rochen …«
    »Nein, nicht das sagen, Papa, bitte nicht! Es ist der Delphin! Niemand sonst, sie … ich meine, er springt doch gerade aus dem Wasser, siehst du das denn nicht?«
    »Entschuldige, natürlich, jetzt erkenne ich’s, es ist der Delphin, niemand sonst, schlaf jetzt!«
    Er murmelt noch ein paarmal niemand sonst , dann werden seine Atemzüge endlich wieder länger, wechseln sich mit den schleimrasselnden Schnarchern des Professors ab, und außer ihren Atemgeräuschen ist wieder nichts mehr zu hören, keine Zikaden oder anderes Gesirr und Gesumm, kein Eidechsengeraschel und nicht das leiseste Windchen im Gras, obwohl es sich unter der Hand leicht hin und her zu wiegen scheint, und auch die kristallenen Sphären über uns bleiben vollkommen klanglos.
    Wie anders ist doch diese sternenteppichüberspannte Nacht als die

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