Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Titel: Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Meier
Vom Netzwerk:
sacken, tausendmal, vergebene Liebesmüh , während er das erste Ölfläschchen in beiden Händen auf Körpertemperatur anwärmt, und Frau Schneider lächelt ihm und mir abwechselnd und wie um Verzeihung bittend zu:
    »Aber ich habe doch ein Recht auf meine Belohnung, und der Show Down mit High-Touch-Behandlung … ich meine, der Therapieabschluss im Belohnungszentrum ist doch schließlich im Rahmen meiner Selbstbeteiligung vorgesehen, und …«
    »Natürlich natürlich, das Recht will Ihnen doch auch niemand nehmen, nur …«
    »Nein, lassen Sie mich bitte ausreden, Herr Dr. Holm, Sie und Ihr Kollege hier sagen, es sei falsch zu reisen, aber wie Sie nur zu gut wissen, ist mein salutologisches Vermögen erschöpft – nein, bitte keine Schonung mehr, sagen wir’s doch frei heraus: Ich bin am Ende. Lange Jahre habe ich mir etwas vorgemacht und mir gesagt: Ich bin gar nicht krank; ich bin einfach in einen Zauberkreis geraten, aus dem es keinen Ausweg gibt. Aber die Wahrheit ist doch, dass ich diesen Ausweg nie gesucht habe, weil meine Gesundheitseinsicht von Anfang an mangelhaft war, und nun habe ich die Quittung bekommen, autotherapeutische Kompetenzen gleich null, katastrophale Werte, na schön, aber ich bin nicht schockiert, denn Dr. Tulps Untersuchung hat nur bestätigt, was ich ohnehin längst wusste, längst, das können Sie mir glauben. Und seit ich es weiß, will ich nur noch reisen, nichts anderes will ich mehr. Und vor allem will ich nicht mehr wissen, was ich will, das aber will ich unbedingt. Und deshalb will ich gen Italien reisen, verstehen Sie, Ge-ni -«
    »Ja, ja, ja!«, kommt es panisch aus unseren vier Mündern zugleich. Frau Schneider zuckt beleidigt die Achseln und zieht sich etwas mühsam ihr Nachthemd über den Kopf. Weil es in Schulterhöhe sperrt, helfe ich ihr:
    »Arme hoch!«
    »Vielen Dank, Herr Dr. von Stern, Sie waren immer sehr nett zu mir, Sie alle. Sind Sie so weit, Dr. Holm?«
    »Ich bin so weit, sobald Sie so weit sind.«
    Sie legt sich auf den Bauch, lässt den Kopf in den für ihn vom ersten Tag an vorgesehenen Rahmen sinken und streckt sich seufzend aus. Dr. Holm träufelt ihr das warme Goldöl vom Nacken aus über die gesamte Wirbelsäule und beginnt langsam, ihre Schulterblätter zu massieren. Währenddessen löst der Professor der Patientin den Haarknoten und streicht ihr sanft und doch fest über den Hinterkopf wie einem kleinen Hund. Dabei murmelt er leise vor sich hin, seine Stimme klingt seltsam körperlos, wie das Wasser, das in der Halle vor dem Speisesaal die glatten Rinnen des an die Wand montierten Kunstschiefergebirges herabfließt:
    »Macht sie sich aus dem Staub, die Gute. Dabei wär’s so schön, einfach nach Italien zu reisen, mit dem Zug. Ach ja, das waren Zeiten, als man sich an jedem größeren Bahnhof noch Elektroschocks versetzen lassen konnte, als würde man sich die Schuhe putzen lassen, nur dass man sich danach noch viel entspannter und vor allem inspirierter, geradezu griechisch stimuliert fühlte. Reisen, ja, von Station zu Station, ein Schock geht in den anderen über. Das haben die Alten wohl gemeint mit ihrer Konversion in Permanenz … Pamplona, Pamplona …«
    »Naja«, Dr. Holm schaut naserümpfend von seiner Patientin auf, ohne seine Massage zu unterbrechen, »fachgerecht waren diese Konversionen zum Mitnehmen wohl kaum. Auch diese Stümperei hat mit dazu beigetragen, dass die arme Konversionstherapie jahrzehntelang stigmatisiert war, finstere Zeiten, in denen man die Patienten nur heimlich unter der Decke schocken konnte.«
    »Entschuldigung, aber dürfte ich um etwas mehr Ruhe bitten«, Frau Schneider hebt den Kopf noch einmal aus ihrem Loch und dreht ihn in Dr. Holms Richtung, sodass ihr das offene Haar wie Seetang übers Gesicht fällt. »Ich weiß ja: Nicht der Traum, sondern der Elektroschock ist eine Art Wunscherfüllung. Aber ich habe doch nun alle Konversionen hinter mir, habe abgeschlossen und will doch nur noch in Ruhe reisen. Ist das denn zu viel verlangt?«
    »Nein, selbstverständlich nicht, verzeihen Sie, Frau Schneider«, er bügelt ihr besänftigend den kleinen ärgerlichen Katzenbuckel wieder aus der Wirbelsäule, sie gibt ihm erneut ihren entspannten Nacken hin und legt die Arme locker neben dem Körper ab, die offenen Handflächen vertrauensvoll uns zugewandt, als wolle sie sich mit dem nächsten Einatmen in eine Heuschrecke, Salabhasana , verwandeln. »So ist gut, Frau Schneider, Schambein sinkt tief, Rippen schmelzen.« In

Weitere Kostenlose Bücher