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Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Titel: Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Meier
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ruhigem Fluss gleiten seine Hände nun an ihrem ganzen Körper entlang, dabei entlädt er ihr Wurzelchakra, knapp oberhalb des Steißbeins, nimmt ihr die Erdung, und bittet mich dann mit knappem Nicken, ihm zu assistieren. Vorsichtig drehe ich der Patientin vom Handrücken aus die Unterarmvorderseite nach oben, sodass ich ihr die Kanüle legen kann, sie zuckt kurz zusammen, das Fixierpflaster leuchtet im Dunkeln, Dr. Holm hat die Infusionsflasche bereits eingehängt und entsichert. Ich schließe den Kreislauf, und während das flüssige Gold in ihre Adern rinnt, legen wir ihr die Hände auf Kopf, Schulterblätter und Steiß, und Dr. Holm gibt Patientin ihre letzte Übungsanweisung:
    »Das erste, was wir nach der Geburt tun, ist tief einatmen, das letzte, was wir im besten Fall tun können, ist tief auszuatmen und uns dabei für jeden Atemzug, der zwischen diesen beiden Zügen lag, zu bedanken. Bedanke dich für dieses Geschenk des Atems, das man Leben nennt.«
    »Na, da braucht man aber einen langen Atem, um die Sache so zu sehn …«, zischt der Professor durch die Zähne, wird aber durch einen bösen Blick von Holms Referenten zum Schweigen gebracht. Patientin geht langsam in Ujjayi -Atmung über, verlängert und vertieft leicht rasselnd ihre Züge und schließt die Übung mit einem spöttisch überraschten Hhaa! ab. Wir lassen sie los, und meine vor Anstrengung leicht zitternden Hände wissen nicht recht, wohin mit sich. Evelyn versucht hinter meinem Rücken, seinen Hintern auf der Liege abzulegen, wie ein Geschenk, das er Frau Schneider noch schnell heimlich auf den Nachttisch legen will, aber rasch ziehe ich den Jungen am Ohr wieder hoch.
    »Gehen wir«, Dr. Holm fährt sich in Zeitlupe mit weitgespreizter Hand über Stirn und Augen. »Den Rest erledigen die Pfleger morgen früh. Es ist immer wieder scheußlich, egal wie oft man das schon gemacht hat.«
    Stumm nicke ich ihm zu, zerre meine beiden Flaschenkinder hinter mir her aus dem Lichthof, in dem die Nacht nun endlich ihre Ruhe hat. Eine ganze Weile laufen wir wie durch Watte die Flure entlang, folgen schweigend Dr. Holm, als hätten wir einvernehmlich alle drei vergessen, wohin wir wollten, und als wüssten wir ebenso einvernehmlich, dass wir nur so ans Ziel gelangen können. Plötzlich haben wir die Speiseterrasse fast erreicht. Dr. Holm bleibt abrupt stehen, räuspert sich und fragt mit dennoch etwas belegter Stimme:
    »Sie wollen es also wirklich wagen, von Stern? Es stimmt also?«
    »Ja, ich will den Jungen nach unten bringen und mich auch, wenn es geht. Und den Alten auch. Was ist mit Ihnen, Holm? Wollen Sie nicht mitkommen?«
    »Ich?« Er lacht müde amüsiert auf. »Ich habe doch meinen Eigenbericht schon vor Jahren eingereicht, und hat man das getan, heißt es wirklich endgültig: Es fährt ein Zug nach Nirgendwo . Ich kann hier nicht mehr weg.«
    »Aber Sie haben Ihren Bericht doch noch nicht mal zur ersten Überarbeitung zurückbekommen. Und solange Sie nichts von der Leitung gehört haben, solange Sie noch auf die Prüfung warten …«
    »Nein nein«, er schüttelt sanftmütig den Kopf, »ich habe alle Fragen beantwortet, alles eingereicht, ihnen alles gegeben, Schluss aus. Sie wissen doch: Der Weg der Schrift ist unumkehrbar.«
    »Ja … aber … das will ich nicht glauben.«
    »Was heißt, dass Sie’s glauben. Und zu Recht. Aber was soll’s«, er lächelt heiter gequält und zückt noch einmal sein flackerndes grünes Feuer. »Und vor allem, was soll ich da unten? Hier kann man immerhin rauchen. Das allein ist doch so großartig, dass man sich dafür glatt umbringen könnte.«
    »Ja, das stimmt.«
    Mein Lächeln klemmt in den Kieferknochen, ich schiele ungläubig an ihm vorbei: Obwohl auf der Terrasse kein Mensch mehr sein dürfte, denn es ist längst Schlafenszeit und alle Lichter dort draußen sind gelöscht, sind alle drei Teile der riesigen gläsernen Terrassentür ganz auf die Seite geschoben. Der Flur liegt auf einmal vor uns wie eine Flugschneise, die ins undurchsichtig Offene der Nacht führt, vielleicht aber auch nur vor einem undurchdringlichen schwarzen Bild endet. In jedem Fall erscheint mir die ungewohnte Unbelebtheit der Szenerie begrüßenswert, doch plötzlich löst sich aus der linken Seite des Türrahmens eine leuchtend weiße Gestalt. Mit angehaltenem Atem gehen wir langsam weiter, Evelyn und der Professor verstecken sich hinter Holm und mir. Es ist Schwester Ananke, sie scheint auf uns gewartet zu haben, und während ich

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