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Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Titel: Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Meier
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gelandet sind:
    »Aber das ist ja bloß das verdammte Belohnungszentrum!«
    »Aber ja, was denn sonst? Ein anderes Zentrum als das Belohnungszentrum gibt es nicht. Sie sind am Ziel, Herr Doktor Obermaus.«
    »Na schön«, jetzt ist es an mir, mich an die Wand zu lehnen, aber das ist mir der Würdelosigkeit noch nicht genug, schlaff lasse ich mich auf die schmale Fichtenbank nieder, die das Hofinnere umläuft. »Das war’s dann, ruhen wir kurz aus und gehen dann zurück, wir werden einfach über die Speiseterrasse gehen, die Wiesen hinab, in den Kugelhagel hinein, was soll’s, ich weiß mir keinen anderen … ich weiß nicht mehr weiter.«
    »Mein Gott, was für eine elende Memme Sie sind! Kugelhagel! Sie träumen, Doktor, Sie träumen! Wenn ich daran denke, wie wir vom MD damals …«
    »Ich kann nicht mehr stehen, Papa, ich kann nicht mehr.«
    Evelyn taumelt in die Mitte, zielstrebig stolpert er auf die Liege zu, und nur im letzten Moment und mit vereinten Kräften können der Professor und ich ihn vom Niedersinken auf das Leder abhalten, denn er wehrt sich mit aller ihm zur Verfügung stehenden Schwerkraft. Mühsam zerren wir ihn von der Liege weg, dabei weint er schlimm und fleht:
    »Lasst mich, bitte nur eine Sekunde! Nur ganz kurz hinlegen, ganz kurz!«
    »Nanu, was ist denn hier los?«
    Vor Schreck über die dunkel schnurrende Stimme in unseren Rücken lassen wir Evelyn fast zu Boden fallen, nur kurz vor dem Marmor kriegen wir ihn zu fassen, aber in diesem Fall fängt der Junge sich wieder, hört schlagartig auf zu heulen, sodass wir alle drei zusammen wie ein vertrottelter dreiköpfiger Drache unsere verdutzten Gesichter zurück zum Eingang drehen. Dort stehen, im blattgoldenen Kittel des diensthabenden Belohnungsarztes, Dr. Holm, und in seinen lässigen Arm eingehängt, im weißen Frotteebademantel, mit geschlossenen Augen und offenem Mund, anscheinend im Stehen schlafend, die passionierte Italienreisende Frau Schneider.
    »Was macht ihr Zuckerpüppchen denn hier? Hab ich mich etwa in der Schicht geirrt?«

41.
    Viehdumm stehen wir drei um die Liege herum, auf der Frau Schneider schon mal Platz genommen hat, und wenn Patienten hier schon mal Platz nehmen wollen , sind sie bekanntlich so gut wie übern Berg, und erwartungsgemäß gähnt Patientin jetzt genüsslich. Vor einer Stunde hat sie ihre abschließende Sitzung in der Konversionstherapie hinter sich gebracht, nun lässt sie die Arme weich um den Oberkörper herumschlenkern und schüttelt so die letzten Krämpfe ab, die sich noch verzweifelt an ihren Schultern festzuklammern suchen. Derweil ordnet Dr. Holm mit geschickt über dem Beistelltischchen hin und her fliegenden Händen das Besteck und die Ölfläschchen nach seinem Geschmack um, und ohne Patientin anzusehen, murmelt er:
    »Soso, Frau Schneider, so weit wollten wir’s kommen lassen, wie? Circle and reach out, and reach out and circle, all the way, my lady … Eine letzte Konversion and here we are …«
    »Ja, Herr Dr. Holm.«
    »Sie sind sich immer noch sicher, ja?«
    »Ja, ganz sicher, Herr Doktor.«
    »Na schön, am Ende des Tages müssen Sie’s selbst entscheiden.«
    »Ja, Herr Dr. Holm, das muss ich, und das kann ich auch!«
    Lächelnd nickt sie uns reihum zu, als gälte es, uns Zuversicht zu geben, und ihre Augen sind nicht mehr stumpfblass wie ein getrocknetes Veilchensträußchen in einem vergessenen Buch, sondern leuchten jetzt seltsam im Halbdunklen. Dann zieht sie mit einem entschlossenen Seufzer ihren Bademantel aus, und darunter kommt ein ärmelloses, strahlend weißes, mit winzigen Blumen besticktes Nachthemd zum Vorschein. Ich trete näher heran, beuge mich mit zusammengekniffenen Augen über ihren Thorax, um in dem spärlichen Licht die Stickerei besser zu erkennen. Frau Schneider legt stolz an sich herabschauend das Kinn aufs Dekolleté und sagt dadurch etwas gequetscht:
    »Mohnblumen, Herr Dr. von Stern! Es sind lauter kleine Mohnblumen. Sind sie nicht wunderschön?«
    »Ja, das sind sie in der Tat, Frau Schneider. Und wäre es deshalb nicht schön, das Nachthemd noch ein paarmal öfter zu tragen?«
    »Nein, ich habe es doch all die Jahre für diesen Anlass aufbewahrt. Ich weiß, dass Sie es missbilligen, dass ich nun reisen möchte, aber …«
    »Ich missbillige es keineswegs, ich finde es nur falsch. Und auch Herr Dr. Holm hier wird Ihnen doch wohl gesagt haben, dass er es falsch findet, nicht wahr?«
    Holm zieht die Schultern an die Ohren und lässt sie erschöpft wieder

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