Heimliche Wuensche
Frühstück für die Familie vorbereiten mußte. Sie öffnete die Briefe und begann zu lesen. Da stand es alles schwarz auf weiß — Jace’ Liebe zu ihr, und ein täglicher Bericht, wie er alles verkaufte, was er besaß, damit er nach Colorado kommen und sich dort niederlassen konnte. Er sprach von ihrer gemeinsamen Zukunft. Er erzählte ihr von seiner Familie. Sie las, wie seine Mutter Arien probte und sein Vater als Geschäftsführer der Warbrooke-Reederei hart arbeiten mußte. Er schrieb von seinen Brüdern und seiner Taggert-Verwandtschaft in Maine. In einem Brief hatte er eine kleine Zeichnung von einer australischen Orchidee beigelegt, die seine Tante Gemma angefertigt hatte. Er schrieb von seinem Großvater Jeff, der eine Ranch in den Bergen Kaliforniens besaß, und er versprach, mit ihr in den Flitterwochen dorthin zu reisen.
Bei dem vierten Brief fing Nellie an zu weinen. Beim letzten Brief weinte sie so heftig, daß sie zuerst Mae Sullivan gar nicht erkannte, die plötzlich vor ihr stand.
»Mae«, sagte Nellie erschrocken. »Ich habe dein Klopfen gar nicht gehört.«
»Die Tür stand offen.«
»Das ist seltsam. Ich bin sicher, daß ich sie zugemacht habe.« Nellie versuchte, sich die Tränen mit dem Ärmel ihres Nachthemds abzutrocknen. Sie wollte vor Mae verbergen, daß sie geweint hatte.
»Oh, Nellie«, sagte Mae und begann ebenfalls zu weinen. »Ich konnte die ganze Nacht kein Auge zumachen. Ich glaube, ich werde nicht eher Ruhe finden, bis ich dir die Wahrheit gebeichtet habe.«
Nellie saß da und hörte verblüfft zu, als Mae vor ihr die ganze Geschichte ausbreitete. Daß alle Damen, junge und ältere, in Chandler mehr oder weniger heftig in Mr. Montgomery verliebt seien und daß sie teils aus Eifersucht, teils aus Wut Nellie weismachen wollten, er habe sich ihnen genähert und versucht, sie zu küssen.
»Es schien uns einfach nicht fair zu sein«, jammerte Mae. »Er wollte die anderen Frauen in der Stadt nicht einmal anschauen. Du hast ihn dir geangelt, ehe wir auch nur eine Chance bekamen. Und obendrein warst du auch noch so dick, daß wir alle dachten, er müsse entweder verrückt sein, daß er dich haben will, oder er macht sich nur an dich heran, weil er es auf das Geschäft deines Vaters abgesehen hat. Wir wollten einfach nicht glauben, daß er dich wirklich liebt. Oh, Nellie, ich bereue ja so sehr, was wir zu dir gesagt haben. Mr. Montgomery hat niemals eine andere Frau in Chandler angeblickt. Er hatte nur Augen für dich.«
Nellie hielt Jace’ Briefe an die Brust gedrückt und sah Mae mit offenem Mund an. Sie konnte immer nur daran denken, wie schrecklich, schrecklich unrecht sie Jace getan hatte.
»Ich sollte jetzt besser wieder gehen«, sagte Mae schniefend. »Ich hoffe, alles fügt sich jetzt zum Guten für dich. Ich hoffe, du heiratest ihn und wirst glücklich mit ihm bis an dein Lebensende.« Damit drehte sich Mae rasch um und verließ das Haus.
Nellie blieb auf ihrem Stuhl sitzen. Was sollte sie jetzt tun? Jace wollte heute die Stadt verlassen.
Ehe sie einen klaren Gedanken fassen konnte, kam Berni in die Küche. »Ich meinte doch Schritte im Flur gehört zu haben. Wie ich sehe, habe ich mich nicht getäuscht .. .« Sie blickte auf die Briefe, die Nellie in ihrem Schoß hielt. »Ist etwas passiert? Etwas, worüber du reden möchtest?«
»Ich ... nein«, sagte Nellie. Sie war nicht gewöhnt, mit anderen über ihre Probleme zu sprechen. »Ich muß jetzt das Frühstück vorbereiten.«
»Im Nachthemd?«
»Oh, nein. Ich muß mich zuerst umziehen.« Sie hatte Mühe, ihre Gedanken zu ordnen.
»Nellie«, sagte Berni. »Erzähle mir, was dich bewegt.«
Im nächsten Moment saß Nellie wieder am Küchentisch und schüttete Berni ihr Herz aus. »Ich habe ihn völlig verkannt. Er war immer gut zu mir; aber ich traute ihm nur das Schlimmste zu. Wie konnte ich ihm nur so schrecklich weh tun?«
»Jeder bereitet dem Menschen, den er liebt, Schmerzen. Du mußt jetzt zu ihm gehen und ihm alles erzählen.«
»Das könnte ich nicht.«
»Man erniedrigt sich nicht, wenn man dem Menschen, den man liebt, auch gesteht, daß man ihn liebt. Die Hälfte der Liebe besteht daraus, daß man vor dem geliebten Menschen zu Kreuze kriecht. Du mußt . . .«
»Ich würde alles tun, ihm alles sagen, um ihn zurückzugewinnen; aber ich kann das Haus nicht verlassen. Ich muß das Frühstück vorbereiten, und mein Vater hat heute abend Geldgeber zum Dinner eingeladen. Ich muß . . .«
»... sie bei guter
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