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Heimliche Wuensche

Titel: Heimliche Wuensche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jude Deveraux
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Dann stieg sie aus dem Bett und trat ans Fenster. Eine junge Frau, kaum dem Mädchenalter entwachsen, stand unten und zitterte vor Kälte in der frischen Morgenluft. Nellie stieß die Fensterflügel auf.
    »Sind Sie Nellie Grayson?«
    »Ja«, antwortete Nellie. »Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«
    »Ich muß mit Ihnen reden. Könnten Sie zu mir herunterkommen?«
    Nellie fragte sich kopfschüttelnd, was dieser frühe Besuch wohl bedeuten sollte, warf einen dicken Wollschal über ihr Nachthemd, fuhr mit den Füßen in ein Paar Pantoffel, eilte ins Erdgeschoß hinunter und sperrte die hintere Küchentür für das Mädchen auf. »In ein paar Minuten habe ich den Herd angeheizt und mache Ihnen einen Kaffee.«
    »Nein, danke. Ich habe nur wenig Zeit.«
    Nellie lächelte dem Mädchen ermunternd zu, als dieses sie anstarrte. »Sie wollten mich sprechen?«
    »Oh, nun, ich wollte sie eigentlich nur betrachten. Das ist alles. Ich meine, ich wollte wissen, wie Sie aussehen. Wegen dieser Briefe.«
    »Was für Briefe?«
    »Diese da.« Das Mädchen zog ein dickes Bündel Briefe unter seinem Schal hervor und gab es Nellie. Die Briefe stammten alle von Jace und waren an Nellie adressiert.
    »Wo haben Sie die hier?« flüsterte Nellie.
    »Ich wohne weit außerhalb der Stadt — ist nicht wichtig, wo — nur mein Pa und ich und seine närrische alte Schwester, was meine Tänte Izzy ist. Mein Pa will nicht, daß irgend jemand weiß, daß seine Schwester nicht alle Tassen im Schrank hat, und deshalb tut er so, als wäre sie gar nicht verrückt. Natürlich wird ihr Kopf davon nicht besser, daß er so tut, als ob ihm nichts fehlte. Was nun diese Briefe angeht, so läßt mein Pa, wenn wir in die Stadt fahren, Tante Izzy immer unsere Post von der Poststelle abholen. Ich weiß nicht, wie sie das beim erstenmal angestellt hat — sie hat vermutlich gelogen; denn sie ist eine verdammt geschickte Lügnerin. Sie muß also diesem dummen Sohn des Postmeisters erzählt haben, daß sie Nellie Grayson wäre, denn sonst hätte der Junge meiner Tante Izzy ja nicht Ihre Briefe ausgehändigt. Ich glaube, sie hat ihm sogar erzählt, die Briefe wären geheim, und deshalb versteckte er sie immer vor seinem Pa und hob sie für Tante Izzy auf. Egal wie — sie bekam sie alle. Wenn ich gestern nicht ihr Zimmer aufgeräumt hätte, hätte nie jemand mehr etwas von diesen Briefen erfahren. Ich bat Pa gestern abend, daß er mich mit dem Wagen zu Ihnen bringen soll, damit ich Ihnen die Briefe geben kann, aber er verlangte, daß ich sie verbrenne. Ich habe ihn belogen und gesagt, ich hätte sie verbrannt. Doch heute morgen bin ich in aller Frühe losgezockelt, um Ihnen die Briefe zu bringen. Ich wollte nicht das ganze Haus aufwecken; habe aber trotzdem erst Ihr Dienstmädchen geweckt, damit sie mir sagen konnte, welches Ihr Zimmer ist.«
    Nellie hörte sich diese Geschichte an, hielt die Briefe in der Hand und betrachtete sie.
    Langsam begann sie zu begreifen, daß Jace sie ihr geschrieben hatte. Er hatte sie nicht verlassen, sondern ihr, solange er von Chandler weg war, fast täglich einen Brief geschickt.
    »Diese Briefe sind wichtig, nicht wahr?« sagte das Mädchen leise.
    »Ja.« Nellie suchte mit der linken Hand nach einem Stuhl und setzte sich. »Die Briefe sind sehr wichtig.«
    Das Mädchen lächelte. »Das dachte ich mir. Also, ich muß jetzt wieder gehen.« Es bewegte sich auf die Hintertür zu.
    »Warten Sie — haben Sie schon etwas gegessen? Was wird Ihr Vater mit Ihnen machen, wenn er herausfindet, daß Sie seine Anweisung nicht befolgt haben?«
    Das Mädchen zuckte mit den Achseln. »Mich versohlen. Aber nicht schlimm. Er ist nicht so gemein wie manche.«
    Nellie schluckte. »Wie heißen Sie denn?«
    »Tildy. Für Matilda.«
    »Tildy, wie wäre es, wenn du zu uns kommen und für uns arbeiten würdest?«
    »In dieses schöne Haus?« sagte Tildy und machte große Augen.
    »Ja, und ich kann dir versichern, daß dich hier niemand versohlen wird.«
    Tildy konnte nur nicken, weil ihr vor Freude die Kehle wie zugeschnürt war.
    »Dann kommst du gleich nach Weihnachten hierher, und ich werde« — Nellie schluckte — »ich werde bis dahin mit meinem Vater gesprochen haben.«
    Das Mädchen schluckte und ging mit immer noch großen Augen zur Tür. »Vielen Dank«, brachte es noch einmal im Flüsterton über die Lippen, ehe Nellie die Hintertür schloß.
    Nellie störte sich nicht daran, daß es eiskalt in der Küche war. Sie vergaß auch, daß sie das

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