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Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin

Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin

Titel: Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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nicht.
    Wenn Isso jetzt hier gewesen wäre, hätten wir uns irgendwo hinlegen
können. Ich war müde. Die Massage hatte Kraft gekostet.
     
    ˜
     
    Ich fiel ins Bett und schlief bis kurz vor fünf. Nach dem
Aufwachen erinnerte ich mich nicht daran, irgendwas geträumt zu haben, aber
mein Hirn war in Unruhe, so als suchte ich nach dem Namen eines Schauspielers
oder dem Synonym für ein nicht perfektes Wort.
    Für mein frugales Essen brauchte ich noch nichts vorzubereiten, das
war alles in einer halben Stunde erledigt, und die Kartoffeln konnte ich erst
schälen und reiben, kurz bevor sie in die Pfanne sollten, sonst würden sie
braun und unschön. Auch den Backofen musste ich jetzt noch nicht vorwärmen.
    Ich stand unschlüssig in der Küche und überlegte, was ich schon tun
konnte, und da fiel mir ein, wonach ich gesucht hatte. Es war ein Gedanke. Und
zwar der, dass ich mir selbst unsympathisch war in meiner Selbstgerechtigkeit.
Ich sprach mich frei von Mitgefühl, nur weil meine Frau verbohrt gewesen war
und mein Sohn sich als Schnösel ausprobiert hatte. Das war klein. Mit dieser
Haltung wurden meine Vorwürfe zu Bumerangs. Ich war selbst verbohrt und ein
Schnösel. Leider konnte ich diese Entdeckung nicht mit Carmen teilen – ich
wollte nicht auch noch ihr unsympathisch werden – und mit Isso schon gar nicht,
denn Selbstgerechtigkeit war keine Katzenkategorie.
     
    ˜
     
    Als Carmen, wieder mit einer Flasche Brunello unterm Arm,
auftauchte, wie immer von der Terrasse mit dem Ruf: »Bist du da? Hallo?«, hatte
ich schon die Vorspeise fertig: Chicoréeblätter mit Tomatenwürfeln,
Frühlingszwiebeln und Petersilie gefüllt, die ich erst im letzten Moment mit
Salz, Öl und Zitrone anrichten würde. Die Kartoffeln waren auch schon geschält
und gerieben, ich war gerade dabei, ihnen die Feuchtigkeit zwischen mehreren
Lagen Küchenpapier auszupressen.
    Sie öffnete den Wein, während ich die erste Portion Rösti in die
Pfanne gab, dann schaute sie mir aufmerksam dabei zu, wie ich Quark mit Joghurt
und einem Esslöffel Olivenöl mischte, feine Schalottenringe darüberstreute,
Salz, Pfeffer und den bei meinen Rezepten fast obligatorischen Teelöffel
Gemüsebrühe.
    »Wenn’s gut schmeckt, mach ich’s dir nach«, sagte sie.
    Ich musste mich beherrschen, ihr nicht ein Geständnis aufzudrängen,
meine Erkenntnis, dass ich ein kleinlicher und selbstgerechter Misanthrop war,
kam mir so bedeutend vor, dass ich sie am liebsten mit jemandem geteilt hätte,
aber das hier war keine Psychotherapie, sondern ein freundschaftliches Essen
unter temporären Nachbarn. Und das Teilen von Erkenntnissen war nichts mehr,
was in mein Einzelgängerleben passte, solchen Impulsen nachzugeben hatte ich
mir vor etwa zwanzig Jahren abgewöhnt.
    »Prost«, sagte Carmen und hielt mir ein gefülltes Glas hin, »wenn du
dich als Koch bewährst, dann heiraten wir dich.«
    »Pluralis majestatis, oder meinst du Johannes und dich?«
    »Natürlich Johannes und mich. Wir machen alles gemeinsam.«
    Außer dem Rauchen, dachte ich, und vielleicht noch dem Schwimmen bei
Regen, aber ich sagte nichts. Ich wäre mir wie eine Petze vorgekommen.
Stattdessen bot ich ihr eine Gabel Rösti zum Probieren an. »Seriös«, sagte sie,
und ich ließ die ganze knusprige Platte auf einen Teller gleiten, den ich in
den Backofen stellte, um die Pfanne für die zweite Portion frei zu haben.
    »Merkst du was von der Massage? Hat’s dir gutgetan?«
    »Ich kann fliegen«, sagte ich, »hab extra Gewichte in meine Schuhe
gepackt, damit’s mich nicht davonweht.«
    »Was denn für Gewichte?« Sie lachte.
    »Einen Kontoauszug und drei Seiten aus Krieg und Frieden.«
    Wir aßen draußen. Die Vorspeise fand Carmens Zustimmung, und als sie
die erste Gabel Rösti mit Quark probierte, schielte sie und seufzte: »Willst du
unser Mann werden?«
    »Ja«, sagte ich und legte ihr ein bisschen Gurkensalat auf den
Teller.
    »Und? Wie geht’s mit dem Roman voran?«
    Ich musste lachen. »Den mit dem Mann, der so nette Gesellschaft findet?«
    »Ja. Du hattest doch den ganzen Nachmittag Zeit.«
    »Ich bin nicht Simenon. Der hat seine Bücher in je einem Monat
runtergeschrieben.«
    »Schade«, sie lächelte, »ich hätte gern schon mal das erste Kapitel
gelesen.«
    »Willst du dich als Muse ausprobieren?«
    »Ganz im Ernst. Das würde ich gerne. Bei dir würde sich das nämlich
lohnen. Ich habe in der Fliegensammlung weitergelesen. Du bist ein packender Erzähler. Ich will’s nicht aus der

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