Heinrich Mueller 05 - Mordswein
brauchen wir wieder ein Wendeglöcklein!«, meinte ein dritter.
»Wofür das denn?«
»Als nächtliches Warngebimmel, damit einer, der dieses Getränk im Magen hat, im Bett das Umdrehen nicht vergisst!«
»Da sitzt einer von der Rebgüterzusammenlegung draußen im Garten«, sagte Nicole, als sie den Wein brachte, »beschwert euch doch bei dem.«
»Mädchen, du weißt nicht, was du redest«, flüsterte der eine oder tat zumindest, als ob er flüstern würde.
»Wieso?«
»Du bist noch nicht lange hier«, stellte er fest. »Hast du nichts von den beiden Toten gehört?«
»Nein«, sagte Nicole.
»Dann sieh dich vor. Wer ein falsches Wort zur unrechten Zeit sagt, begibt sich in Gefahr.«
»Nun hör schon auf, der jungen Frau Angst zu machen«, ärgerte sich sein Kumpel.
»Ist da wirklich was dran?«, fragte Nicole. »Da wurden zwei Menschen getötet wegen der Rebgüter?«
»Frag nicht zu viel und tu deine Arbeit«, kommandierte der Erste, der den Wein bestellt hatte, und lenkte das Gespräch in eine andere Richtung.
Er war ein kleiner, schmächtiger, schmutziger Kerl mit einem Gesicht, das mit dem Leder aus einer hundertjährigen Postkutsche überzogen schien.
»Sie feiern«, stellte Arno Wenger fest, der unbemerkt hinter Nicole getreten war. »Aber sie feiern nicht das Gelingen der Arbeit, das Erfüllen eines Auftrags. Sie feiern das eigene Scheitern. Sie feiern, dass sie einen Angriff auf ihr Dorf abgewehrt haben. Sie sehen einen von außen als Bösewicht, der ihr Leben durcheinander bringen will. Sie feiern einen Pyrrhus-Sieg über das Böse.«
Er zeigte auf einen alten Mann, der seit dem Eröffnungstag der Kneipe in derselben Ecke zu sitzen schien, und schickte Nicole mit einem Dreier Freisamer zu ihm hin.
»Mädchen, das ist mir lieb«, sagte er. »Weißt du, wie der Weingott zur Rebe gekommen ist?«
»Nein. Erzähl!«
»Als Jüngling ist er auf der Insel Naxos zu Fuß unterwegs, muss sich aber ausruhen, weil die Sonne sticht und brennt. Er schläft ein. Da weckt ihn ein unbekanntes Pflänzchen, das sanft seinen Fuß streichelt. Er gräbt es mit den Würzelchen aus, findet ein Vogelknöchelchen am Weg und versteckt es darin vor der glühenden Hitze. Unter seiner göttlichen Hand wächst es jedoch unverdrossen, sodass der Knochen bald zu klein ist. Da findet der Weingott einen Löwenknochen, in dem er alles verbergen kann.«
»Ausgerechnet ein Löwe?«, fragte Nicole.
Der Alte lässt sich nicht unterbrechen. »Aber es wächst weiter. Nach einer Weile findet er am Wegrand einen Eselsknochen und steckt alles hinein. Als er zu Hause angekommen ist, pflanzt er das Gewächs in die Erde, um zu sehen, was daraus wird, kann es aber von den Knochen nicht mehr trennen.«
»Und? Was wird daraus?«
»Es wird eine Rebe, deren Trauben wunderbaren Wein ergeben. Und der hat wie die Pflanze von jedem Tier etwas angenommen.«
Nicole fragte: »Vom Vogel, vom Löwen und vom Esel?«
»Genau!«, sagte der Alte, der nun aussah wie der leibhaftige Dionysos. »Sobald die Menschen den Zaubersaft kosten, singen sie fröhlich wie die Vögel. Trinken sie etwas mehr, fühlen sie in sich die Kraft und den Mut des Löwen. Und wenn sie nicht aufhören können, benehmen sie sich dumm und ungestüm wie ein Esel!«
»Aber so viel Wein war noch gar nicht im Spiel!«
»Wart’s ab. Denn wenn ich das Weinjahr vor mir sehe, drohen Krankheiten und Ungemach.«
Im Schankraum ging es inzwischen hoch her. Ein Dutzend Kunden rumpelstilzte den ›Kiosk‹, als ein übles Geräusch die falschen Töne durchbrach. Es röchelte wie eine schlecht gewartete Abwasserleitung, kam aber aus der düsteren Ecke, wo ein Monstrum von einem Mensch saß, der sich nun ans Herz griff, während sein Begleitservice das Weite suchte, und zu Boden sank. Nun kann man sich ja nicht vorstellen, wie sich so etwas anfühlt, wenn man Tag für Tag die Pizza beim Hauslieferservice um die Ecke bestellt, seinen Lohn vom Bankkonto zieht und ausschließlich in der Missionarsstellung vögelt. Aber es war halt einer dieser Notfälle, in denen der Arzt nur zum Ausfüllen des Totenscheins kommt.
Dienstag, 27.7.2010
Gestern hatte sich Peter Hofer von der Versicherung erneut gemeldet. Er hatte die Versicherungspolicen der SEPB genauer in Augenschein genommen. Dann hatte er Heinrich Müller angerufen: »Mir sind zwei Dinge aufgefallen. Erstens handelt es sich nicht ausschließlich um Amtsträger der Partei, die bei uns versichert sind. Offensichtlich sind auch ein paar
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