Heinrich Spoerl
Programmblätter im Schaukelflug ins Parkett hinabschickten, saß er mit glühenden Backen und bekam nasse Augen, als Marquis Posa vom König Gedankenfreiheit verlangte. Und ging still nach Hause. Mit der Sicherheitsnadel im Hosenboden, die zur Feier des Tages gegen eine neue, blanke vertauscht war.
Man wird es schon gemerkt haben: Dieses Original war kein Lehrer, sondern ein Schüler. Darin bestand seine besondere Originalität. Und die Sicherheitsnadel am Hosenboden war keine Schlamperei, sondern Trotz. Eine innere Auflehnung gegen die bürgerliche Ordnung.
Wir waren furchtbar stolz auf ihn. Die andern Klassen beneideten uns. Und als er eines Tages aus unerklärlicher Ursache mit einer anderen Hose ohne Loch und Sicherheitsnadel kam, waren wir empört und haben ihn verprügelt. Das war dumm von uns. Denn beinahe hätte er daraufhin auf dieses Wahrzeichen verzichtet, aus Trotz gegen die Klasse. Aber der Trotz gegen die Schule war stärker.
Er hatte noch andere Ticks. Er redete unsere Erzieher niemals mit ›Herr Professor‹ oder ›Herr Oberlehrer‹ an. Sondern sagte mit kindlicher Stimme: Herr Lehrer. Dieses aber bescheiden in der dritten Person. Es war für uns ein erhebender Augenblick, wenn er sich manchmal in der Mathematikstunde mit seiner knochigen Länge erhob und mit sanfter Stimme erklärte: »Verzeihung, der Herr Lehrer hat einen Fehler gemacht.«
Er konnte sich das erlauben. Dieses und anderes. Er war ein ausgesprochener Talentflegel. Flegel waren wir alle, aber er verband damit eine geradezu pathologische Intelligenz, mit der er alles erschlug. Er war einer von denen, die es später im Leben schwer haben, weil ihnen in der Jugend alles zu leicht fiel.
Nur an sein Päng konnte die Schule sich nicht gewöhnen.
Er hatte in einer mathematischen Klassenarbeit eine besonders elegante Lösung gefunden und in der Freude seines Herzens hinter das Resultat das Wort »Päng« geschrieben: »x = y (a-b). Päng.«
Es war ihm ganz in Gedanken herausgerutscht. Aber als es dastand, machte es ihm Spaß, und er ließ es stehen.
Päng war bei uns ein vielgebrauchtes Wort. Es hieß soviel wie basta oder hurra oder was-sagst-du-nun. Im mündlichen Unterricht konnte man es durchgehen lassen, wenn es auch keine mathematische Ausdrucksweise war. In einer Klassenarbeit war es fehl am Platze. Unser Mathematiklehrer nahm es nicht tragisch und begnügte sich damit, durch das Päng einen wohlwollenden roten Strich zu machen.
Das hätte er lieber nicht tun sollen. In der nächsten Arbeit stand es wieder:
»Der Schnellzug braucht mithin sieben Stunden sechsundvierzig Minuten. – Päng.« Diesmal gab es einen missbilligenden roten Kreis um das Wort. Einen Kreis, wie man ihn sonst um einen Klecks oder Schmutzfleck bekommt.
Die nächste Arbeit endigte wieder mit Päng. Da wurde der Mathematiker böse und schrieb dick und rot an den Rang: »Was heißt Päng?«
Unser Spatz blieb die Antwort schuldig. Er schrieb sein »Päng« beharrlich hinter alle richtigen Lösungen. Und richtig waren seine Lösungen immer. Und der Mathematiklehrer griff zum Äußersten und schrieb an den Rand: »U.d.V.«
»U.d.V.« war gefürchteter als Arrest. U.d.V. hieß: Unterschrift des Vaters und bedeutete häusliche Katastrophen.
Nicht bei Spatz. Einen Vater hatte er nicht, und seine Mutter hatte vor ihm, dem höheren Schüler, einen grenzenlosen Respekt. Sie krakelte glückstrahlend ihren Namen dahin, wo ihr Sohn mit dem Finger zeigte, und hielt es für eine besondere Auszeichnung.
Dann begann die Stufenleiter der Strafen:
Eintrag ins Klassenbuch.
Eine Stunde Arrest.
Zwei Stunden Arrest.
Schließlich Konferenz.
Die Konferenz fragte, warum er das tue. Er zuckte die Achseln. Ob er das nicht unterlassen könne? – Doch.
Er tat es weiter. Nur ein einziges Mal, schrieb er kein Päng hinter die Lösung; das war, als er die Höhe eines Turmes mit 0,0.000.073 Meter herausgerechnet hatte und zu faul war, den Fehler zu suchen. Aber das war nur eine Ausnahme, die die Regel bestätigte. Das beharrliche »Päng« kann sich keine Schule auf die Dauer bieten lassen. Man versuchte es mit Güte. Man war Pädagoge, Biologe, Psychologe. Man schloß mit ihm einen Vergleich: Wenn er seine Freude über eine gelungene Lösung durchaus nicht unterdrücken könne, dann soll ihm ein Ausrufungszeichen gestattet sein.
Unter der nächsten Arbeit stand wieder Päng! Aber Päng mit einem Ausrufungszeichen.
Da erkannte man, daß der Schüler einem
Weitere Kostenlose Bücher