Heirate nie einen Italiener
erreichte.
Dass dies nicht nur ein weiterer Fehler, sondern ein ungleich größerer war, wurde ihr spätestens klar, als Lorenzo blitzartig ihre Hand nahm und küsste.
Schlagartig stellte sich die Erinnerung an jenen Kuss ein, den sie vor ihrem Elternhaus ausgetauscht hatten, an das Gefühl seiner Lippen, die sich sanft und energisch zugleich auf ihre gedrückt hatten. Und obwohl Lorenzo eine Armeslänge von ihr entfernt saß, meinte sie diese erregende Nähe auch jetzt zu spüren.
Es wird höchste Zeit, ihm endgültig Einhalt zu gebieten, sagte sich Helen, doch den Vorsatz auch in die Tat umzusetzen war sie nicht imstande. Dafür genoss sie das Prickeln auf der Haut viel zu sehr, das die zärtliche Berührung seiner Lippen auslöste.
Als die knisternde Spannung sie zu überwältigen drohte, hob Lorenzo unvermittelt den Kopf und ließ ihre Hand los. Grenzenlose Scham und Enttäuschung ließen Helen rasch wieder zur Besinnung kommen. Sie zog ihren Arm zurück und rückte sicherheitshalber ganz nah an die Tür, um in den wenigen Minuten, welche die Fahrt noch dauern konnte, jede noch so flüchtige Berührung zu vermeiden.
“Wir sind da”, sagte sie erleichtert, als vor ihnen endlich das Elroy auftauchte.
“Dann sollten wir rasch überlegen, wann ich mit deinen Eltern spreche”, schlug Lorenzo vor.
“Das übernehme ich selbst”, entgegnete Helen betont abweisend. “Ich rufe sie morgen an und sage ihnen, dass du und ich uns nicht wiedersehen und folglich auch nicht heiraten werden.”
“Und wie willst du ihnen den kleinen Vorfall vor ihrer Haustür erklären?”
“Ich werde einfach sagen, dass ich mich habe hinreißen lassen”, erwiderte Helen. “Sie werden das verstehen”, setzte sie hinzu, wenn auch wenig überzeugend. “Schließlich waren sie auch einmal jung.”
“Wenn das so ist, spricht eigentlich nichts dagegen, dass du dich erneut hinreißen lässt”, sagte Lorenzo, und selbst im Halbdunkel meinte Helen sein schalkhaftes Lächeln erkennen zu können. “Zumal sie es dieses Mal nicht sehen würden.”
“Dafür aber mein Arbeitgeber”, konterte Helen, weil das Taxi in diesem Moment vor dem Hoteleingang hielt. “Gute Nacht, Mr. Martelli”, verabschiedete sie sich förmlich. “Es hat mich gefreut, Sie kennenzulernen. Ich wünsche Ihnen einen erfolgreichen Aufenthalt in New York.”
“Tu nicht so scheinheilig”, wandte Lorenzo ein. “In Wirklichkeit wünschst du mir die Pest an den Hals.”
“Das kann ich weder bestätigen noch dementieren.”
“Was so gut wie ein Geständnis ist.” Lorenzo sah ein, dass nicht die geringste Aussicht bestand, Helen noch umzustimmen. “Dann danke ich Ihnen für den wunderbaren Abend, Miss Angolini. Ich hoffe, unsere Wege kreuzen sich eines nicht so fernen Tages erneut.”
Helen erwiderte sein Lächeln betont freundlich, bevor sie ihn in aller Deutlichkeit wissen ließ, wie sie darüber dachte. “Der Himmel möge uns davor bewahren”, gab sie ihm mit auf den Weg. “Leben Sie wohl, Mr. Martelli.”
Sie sah ihm nach, bis er in der Lobby des Hotels war. Das wäre geschafft, dachte sie erleichtert. Mit ein wenig Glück und Geschick sollte es ihr gelingen, ihm in den wenigen Tagen, die er noch in der Stadt war, aus dem Weg zu gehen.
Am nächsten Morgen ließ Jack Dacre Helen in sein Büro rufen.
“Ich habe einen etwas ungewöhnlichen Auftrag zu vergeben”, erklärte ihr Chef umständlich, “und da ich gesehen habe, wie blendend Sie sich mit Mr. Martelli verstehen, möchte ich Sie damit betrauen.”
“Worum geht es denn?”, fragte Helen so emotionslos wie möglich.
“Ich möchte Sie bitten, sich ein wenig um ihn zu kümmern”, erwiderte ihr Chef. “Sein Englisch scheint schlechter zu sein, als ich angenommen habe. Erst heute früh hat er mir gestanden, wie sehr er darunter leidet, dass er sich kaum verständlich machen kann. Und da Sie seine Muttersprache beherrschen, schlage ich vor, dass Sie ab sofort als seine Dolmetscherin fungieren. Ganz nebenbei erfahren wir so vielleicht etwas über die Konditionen, die unsere Konkurrenz aushandelt. Verstehen Sie jetzt, warum ich ihm seine Bitte nicht abschlagen konnte und wollte?”
Helen verstand zunächst nur, dass sie die Hartnäckigkeit eines gewissen Lorenzo Martelli sträflich unterschätzt hatte. Und so klopfte sie mit einer gehörigen Portion Wut im Bauch an seine Zimmertür, die sich wie von Geisterhand öffnete.
Doch sobald er seine Nase aus der Tür streckte, war Helens Wut schon
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