Heiße Sonne der Verführung
ihre geröteten Augen. Ihre Lippen zitterten. Langsam lockerte sie den Griff ihrer Hand auf seinem Mund, und er zog sie näher zu sich heran.
»Nein, nein«, stöhnte sie, schlang ihre Arme um seinen Hals, hielt ihn fest und schluchzte gegen seine Brust. »Er hat sie geliebt.« Ihre Schultern zuckten erbärmlich. »Das hat er«, versicherte sie ihm durch ihre Tränen hindurch, und Ran widersprach ihr nicht.
Er hielt sie fest, und seine Hände streichelten ihr über den Rücken. »Ich glaube Euch ja, Kleines.« Sie drückte sich näher an ihn heran. »Aber warum sucht Ihr ihn jetzt erst, nach all den Jahren?«
»Nicht nach all den Jahren, Ransom. Seit ich sechzehn geworden bin, suche ich nun schon nach ihm.«
Neun Jahre, hallte es in seinem Kopf wider, und er hielt sie so weit zurück, dass er ihr Gesicht sehen konnte.
»Guter Gott, Aurora, warum?«
»Seht Ihr denn nicht, dass er alles ist, was mir auf dieser Welt noch geblieben ist? Und vielleicht ist er ja einsam und braucht mich.«
Braucht mich. Dachte sie denn nie an sich selbst?
Eine Flut von Zärtlichkeit überschwemmte ihn, denn er sah das mutterlose Kleinkind, versteckt, als die Mutter niedergemetzelt wurde; er sah das schmächtige junge Mädchen, das niemanden hatte, der ihr Rüschenkleider nähen, ihr Blumengirlanden ins Haar winden oder ihr am Bett Märchen vorlesen konnte. Er sah das vaterlose Kind, das niemanden hatte, der sie vor Rüpeln schützen, sie vor der Rauheit der Welt warnen, ihr Spielzeug machen oder sie sanft im Arm halten konnte, wenn sie von mitternächtlichen Kobolden in Schrecken versetzt worden war. Er stellte sich das wilde Mädchen vor, das in den Highlands aufwuchs, Kräuter und Blumen sammelte und an ihre Zaubersprüche und Tränke und an ihre Göttin glaubte. Er sah die Kindfrau, die mutig ihr Heim verließ, um nach ihrem Vater zu suchen, der sich selbstsüchtig seinem Kummer hingegeben und so sein einziges Kind vernachlässigt hatte.
Und dann sah er die an die Wand des Sultangefängnisses angekettete Frau, die ruhig auf ihn wartete. Seine Brust schien anzuschwellen, ein Anschwellen vor Stolz und Bewunderung, das in seinen Panzer schnitt, den er in jahrelanger Arbeit geschmiedet hatte. Er stellte sich vor, wie sie die letzten neun Jahre verbracht hatte, wo sie gelebt hatte, die Anlässe, bei denen sie sich kalt oder hungrig oder einsam gefühlt hatte, einsam, abgesehen von der Gesellschaft eines reservierten alten Mannes. Sie verlangte nichts und würde ihr letztes Hemd hergeben, wenn irgendjemand es benötigte. Und Ran wollte ihr zurückgehen, was sie verloren hatte; er wollte sie mit den Annehmlichkeiten überhäufen, die sie vermisst hatte, an denen ihr aber andererseits auch wenig lag. Er wollte Aurora glückliche Träume schenken und ihre Albträume verjagen.
»Er ist in der Nähe, Ransom«, flüsterte sie. Der weiße Wolf aus ihrer Seher-Schatulle, erinnerte er sich und schaute zu ihr hinunter. »Ihr seht also, warum ich Euch verlassen muss?«
Es war aber unmöglich, sie an Land zu bringen. Zumindest nicht dort an Land, wo sie hinwollte. »Wie ist sein Name? Vielleicht kann ich ja helfen?«
»MacLaren, Angus MacLaren.«
Er war verwirrt. »Aber …?«
»Lassiter ist der Name meiner Mutter. Ich habe den Namen MacLaren nie benutzt, weil ich Angst hatte, er würde vor mir davonlaufen, wenn er wüsste, wer ich bin.«
Zumindest zieht sie in Erwägung, dass ihr Vater vielleicht gar nicht gefunden werden will, dachte er, dann fragte er sie: »Würdet Ihr ihn denn überhaupt erkennen?«
»Meine Erinnerung ist die eines Kleinkindes, und genauso, wie ich mich verändert habe, muss auch er es getan haben. Aber sein Haar ist rot«, bemerkte sie. Ran drückte einen Kuss auf ihr Haar, sie drehte sich sofort zu ihm um. Aurora umfasste sein Gesicht und nahm seinen Mund, versenkte ihre Zunge tief zwischen seine Lippen und zog ihn aufs Bett hinunter. Sie küsste ihn voller Verzweiflung, voller Verlangen und Begierde, und sie wimmerte in diesen Kuss hinein. Er überließ ihr das Kommando, ließ sie ihre Ängste und ihren Kummer auslöschen, denn er fühlte sich erschüttert und schwankend, sich selbst nicht mehr erkennend. Die Kruste der Bitterkeit und des Zornes riss, denn seine zerrüttete Vergangenheit, jeglicher Schmerz, den er erlitten hatte, war plötzlich unbedeutend und erbärmlich verglichen mit ihrem harten Leben, das sie im Namen eines verlorenen Vaters geführt hatte. Und als sie vor Erschöpfung weicher wurde und ihre
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