Heisskalte Glut
Östlich davon lag das große, weißgetünchte Anwesen
der Rouillards, westlich die ärmliche Behausung der Devlins, wobei keines der
beiden Häuser direkt an das Ufer des Sees angrenzte. Dort stand einzig das
Sommerhaus der Rouillards. Es war ein weißes, einstöckiges Gebäude mit zwei
Schlafzimmern, einer Küche, einem Wohnzimmer und einer mit Jalousien
verhängten Veranda, die rund um das Haus lief. Etwas weiter entfernt vom
Sommerhaus lagen der Bootsschuppen und ein Anlegesteg sowie der aus Klinkern
gemauerte Grill. Im Sommer trafen sich dort manchmal Gray und seine Freunde und
verbrachten den Nachmittag mit Schwimmen und Rudern. An solchen Tagen hielt
sich Faith am Waldrand auf und beobachtete sie alle nach Herzenslust.
Vielleicht ist er heute auch dort, dachte sie. Das süße Verlangen,
das sie bei dem Gedanken an ihn immer verspürte, war fast schon schmerzhaft. Es
wäre einfach zu schön, wenn sie ihn an ein und demselben Tag gleich zweimal
sehen könnte.
Sie war barfuß und trug kurze Shorts, die ihre
dünnen Beine den Dornen und den Schlangen ungeschützt preisgaben. Aber Faith
kannte die Wälder und die dort lebenden scheuen Tiere. Vor Schlangen hatte sie
keine Angst, und die Kratzer beachtete sie nicht. Ihr langes, dunkelrotes Haar
fiel ihr oft in die Augen, also band sie es mit einem Gummiband zurück. Wie
eine Elfe schwebte sie durch den Wald, ihre großen Augen blickten bei dem
Gedanken an Gray vollkommen verträumt. Vielleicht würde er ja da sein.
Vielleicht würde er sie eines Tages im Wald oder hinter einem Baum versteckt
entdecken. Vielleicht würde er ihr dann zuwinken und rufen: »Komm doch herüber
und mach mit.« Sie verlor sich in dem wunderbaren Tagtraum, wie sie Teil dieser
lachenden, wilden, sonnengebräunten Teenager sein würde, wie sie eines von
jenen kurvenreichen Mädchen im knappen Bikini wäre.
Noch bevor sie den Rand der Lichtung erreicht hatte, auf der das
Sommerhaus stand, konnte sie bereits den silbrigen Glanz von Grays davor
geparkter Corvette erkennen. Ihr Herz begann in der ihr wohlbekannten Weise
wie wild zu schlagen. Er war da! Sie glitt vorsichtig hinter einen dicken
Baumstamm. Es waren überhaupt keine Geräusche zu hören. Kein Planschen, kein
vergnügtes Schreien oder Gelächter.
Vielleicht angelte er vom Steg aus oder war
mit dem Boot hinausgefahren. Faith trat einen Schritt näher, um den Bootssteg
ganz überblicken zu können. Es war jedoch niemand zu sehen. Er war nicht da.
Enttäuschung stieg in ihr auf. Wenn er mit dem Boot ausgefahren war, dann war
seine Rückkehr vollkommen unbestimmt, und sie konnte nicht lange hier auf ihn
warten. Sie hatte sich diese Zeit ohnehin abgeknapst, denn sie mußte schon bald
zurück sein und das Abendessen kochen. Und sie mußte sich um Scottie kümmern.
Gerade wollte sie sich zum Gehen umwenden, als sie einen
erstickten Laut hörte. Lauschend versuchte sie das Geräusch zu orten. Sie trat
aus dem Wald heraus und ging ein paar Schritte auf der Lichtung in Richtung
Haus. Jetzt vernahm sie Stimmengemurmel, aber es war zu leise und undeutlich.
Sie konnte es nicht verstehen. Ein Glücksgefühl durchströmte sie: er war doch
da. Aber er war im Haus. Es würde schwierig sein, vom Wald aus einen Blick auf
ihn zu erhaschen. Wenn sie sich jedoch noch weiter heranwagte, dann würde sie
ihn hören können. Das würde ihr reichen.
Faith konnte sehr leise sein. Ihre nackten Füße machten nicht das
geringste Geräusch, als sie auf das Haus zuschlich, es aber gleichzeitig
vermied, vom Fenster aus gesehen zu werden. Das Gemurmel schien vom hinteren
Teil des Hauses zu kommen, wo sich die Schlafzimmer befanden.
Sie hatte die Veranda erreicht und sich auf die unterste Stufe
gesetzt. Sie neigte den Kopf zur Seite, um das Gespräch zu verfolgen, aber es
blieb undeutlich. Sie erkannte jedoch Grays Stimme, die tiefen Töne waren klar
zuzuordnen, jedenfalls für Faith. Dann hörte sie eine Art Keuchen, eine viel
höhere Stimme, der ein Stöhnen entfuhr.
Von Neugier und von Grays Baß unwiderstehlich
angezogen, stand Faith auf und drehte sehr vorsichtig den Türgriff herum. Die
Fliegengittertür war nicht verschlossen. Sie öffnete sie gerade weit genug, daß
eine Katze hätte durchschlüpfen können, dann zwängte sie ihren schmalen,
federleichten Körper hindurch und schloß sie geräuschlos hinter sich. Auf Händen
und Knien kroch sie über die Veranda auf das geöffnete Fenster eines der
Schlafzimmer zu, aus dem die Stimmen zu kommen schienen.
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