Heiter weiter
Telefonate, jetzt auch die E-Mails. So vieles steht nicht mehr zwischen ihnen: Missverständnisse, Fehlinformationen, Interpretationen. Das war wahrlich eine sinnvoll investierte Schreibe-Zeit.
Dass Eltern ihren Kindern helfen, wenn es eine Krise gibt, ist selbstverständlich. Damit aber die Kinder überhaupt fragen können, bedarf es einer offenen, ungestörten Kommunikation. Wer schon einen Brass auf die Mutter hat, die angeblich »nie da war, wenn man sie gebraucht hat«, oder auf den Vater, der immer, wenn er mal alleine mit einem war, als Erziehungsmaßnahme eine Liste der angeblichen Verfehlungen herausgezogen hat – dann bittet kein Kind diesen Elternteil um Unterstützung. Ich möchte also alle Eltern im dritten Leben ermutigen, die Beziehungen zu den Kindern zu entkrampfen, zu vereinfachen. Sich auf der einen Seite nicht einzumischen. Aber da zu sein, wenn ein Kind um etwas bittet oder einen Rat erfragt.
Denn es findet in diesem Lebensabschnitt eine Umkehrung der Rollen statt: hier die Kinder als mitten im Leben stehende Erwachsene, dort die Eltern, die einst den Kindern den Weg wiesen, aber sich in ihrem neuen Abschnitt irgendwie mit der Autorität ihrer Kinder arrangieren müssen. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass in anderen traditionellen Gesellschaftssystemen die
älteren Menschen vor allem deshalb bis zu ihrem Lebensende aktiv mitarbeiten, weil fast jeder in einer solchen Gesellschaft am Rande des Existenzminimums lebt. Die erzwungene Untätigkeit der älteren Menschen ist nur in einer Wohlstandsgesellschaft wie der unseren möglich. Es hat eben auch immer mit »Vermögen« zu tun, wenn eine Gruppe der Gesellschaft nichts mehr zum Gesamtvermögen beitragen muss. Unsere Kinder werden wohl ein anderes »drittes Leben«, eine andere Rentenzeit oder Pension erleben, als sie uns heute geschenkt ist.
Die Veränderung der sozialen Rollen sowie die sich für uns Ältere daraus ergebenden Konsequenzen sind klug und einfühlsam in Shakespeares Tragödie »König Lear« nachzulesen. Darin werden die zwei in Konflikt stehenden Bedürfnisse alter Menschen beschrieben und durchschaut: Sie brauchen die Liebe und Unterstützung ihrer Kinder und wollen sich ihre eigene Unabhängigkeit erhalten. Das klappt aber nicht. Warum, das wird dramatisch bei William Shakespeare geschildert: Die beiden älteren Töchter des Königs verraten ihren Vater. Sie stehen also prototypisch für die Untreue der Jungen in ihrer Beziehung zu den Alten. Dabei sollten wir beim Lesen nicht übersehen, dass Lears tragisches Schicksal vor allem durch seinen Entschluss, sich zurückzuziehen und die Macht seines Amtes auf seine Töchter zu übertragen, verursacht wird. Nicht so sehr durch sein hohes Alter und das Schwinden seiner körperlichen Kräfte. Wir sollten uns das vor Augen führen, wenn wir über Testamente (siehe Service-Anhang ) und den Rat »mit warmer
Hand zu geben« nachdenken, wenn wir etwas aus steuerlichen Gründen überschreiben wollen und hoffen, dass
ein Nutznieß auf einer Wohnung, einem Haus Konflikte mit den Kindern vermeidet und ihnen später Erbschaftssteuern spart.
Wenn ich hier vom Glück im dritten Leben schreibe, dann geht ein großes Quantum dieses Glücks auf das Konto von Enkelkindern. Kinder der eigenen Kinder – aber wir sind nicht mehr die Eltern, sondern Oma oder Opa, liebevoll zugewandt, aber nicht mehr für alles verantwortlich.
Wie hoch Großmutter und Großvater im Kurs stehen, ist schon in den Märchen der Gebrüder Grimm nachzulesen. Jetzt können wir als Großeltern unseren Enkeln vorlesen. Aber nicht nur das. Wir haben Zeit – ein unschätzbares Gut. Zeit, die wir als Eltern mit den eigenen Kindern so nicht hatten. Wohl den jungen Eltern, die ihre Großeltern in der Nähe wohnen wissen. Kaum eine Großmutter, die nicht gerne einspringt, wenn ein Enkelkind krank wird, der Kindergarten im Jahr zwölf Wochen zumacht, genauso die Schule. Großväter entdecken mit ihren Enkeln nicht nur die Langsamkeit, sondern die Natur oder die Technik, die Freude am Wandern oder Segeln, einfach so viel Neues.
Es ist wirklich ein Glück, Enkelkinder groß werden zu sehen. Was umgekehrt die kleinen Kinder im Augenblick gar nicht so erleben. Erst später, älter und erwachsener, werden sie sich aufgrund von Fotos an Großvater oder Großmutter erinnern und davon berichten. Meine Großmutter zum Beispiel hat mir Gedichte geschrieben. Die habe ich erst als junge Frau entdeckt und noch sehr viel später erst
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